In einer Phase der Sprachlosigkeit und des offenen Hasses zwischen Israelis und Palästinensern versuchen die Europäer eine diplomatische Initiative zur Rettung der Zwei-Staaten-Lösung für den Nahostkonflikt. Die schwedische Regierung hat als erste die völkerrechtliche Anerkennung des Palästinas beschlossen. Auch die Parlamente Spaniens, Frankreichs, Irlands und Großbritanniens fordern die Aufnahme zwischenstaatlicher Beziehungen zur Palästinenserregierung. Die symbolischen Beschlüsse kommen fünf vor zwölf, um zu verhindern, dass die einst schon von Bruno Kreisky propagierte Idee eines eigenen Palästinenserstaates zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts endgültig begraben wird. Diese Woche diskutiert auch das Europaparlament eine Anerkennungsresolution.
Im israelischen Wahlkampf spielen die besetzten Palästinensergebiete keine Rolle. Die Rechtsparteien um Benjamin Netanjahu, und die liberalen Fraktionen streiten, ob es Sinn macht, den jüdischen Charakter des Staates juristisch stärker zu verankern. Viele Israelis fühlen sich vom Rest der Welt missverstanden. Die von der Rechten forcierte formelle Bezeichnung Israels als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ ist als nationalistische Trotzreaktion gegen eine feindliche Außenwelt populär. Die Gegner sehen dagegen den demokratischen Charakter Israels als Staat aller seiner Bürger in Gefahr. Ob ein neues Nationalitätengesetz wirklich große Veränderungen bringen würde, ist unklar. Aber die arabischen Israelis, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung, wären noch mehr an den Rand gedrängt.
Aus Europa gibt es kaum Wortmeldungen zum Thema jüdischer Nationalstaat. Was den EU-Regierungen mehr Sorgen bereitet, ist der forcierte Ausbau der jüdischen Siedlungen in der besetzten Westbank. Die Settlements gelten in Israel als normale Wohnraumbeschaffung, vor allem rund um Jerusalem. Für die internationale Gemeinschaft sind die jüdischen Dörfer und Kleinstädte östlich der grünen Linie, in der hunderttausende Israelis leben, dagegen völkerrechtswidrig und illegal.
Unter der letzten Rechtsregierung hat der Siedlungsausbau derartige Dimensionen angenommen, dass die Europäer die seit Jahrzehnten wichtigste Grundvorstellung, wie der Konflikt, gelöst werden könnte, schwinden sehen: die Bildung eines eigenen Palästinenserstaates neben Israel, im Wesentlichen entlang der Grenzen vor 1967.
Ein besonderes Alarmzeichen: in Israel gewinnen die offenen Befürworter einer Annexion großer Teile der Westbank an Boden. Wirtschaftsminister Naftali Bennett, als Chef der Siedlerpartei ein neuer Star der Rechten, will eine Ein-Staaten-Lösung und die formelle Einverleibung von 60 Prozent der Westbank. Die restlichen Palästinensergebiete würden als ewige Bantustans übrig bleiben, rechtlos und chaotisch. Früher waren solche Ideen auf wenige Extremisten beschränkt. Jetzt fassen sie im israelischen Mainstream Fuß. Es wäre der Weg in Richtung Apartheidstaat.
Die Palästinenserführung ist so schwach und orientierungslos wie schon lange nicht. Die geplante Verständigung zwischen der fundamentalistischen Hamas in Gaza und der von Al Fatah dominierten Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas in Ramallah ist in Schwebe. Es häufen sich die planlosen Anschläge auf jüdische Einrichtungen. In Jerusalem fährt ein junger Palästinenser wahllos in die Wartenden einer Straßenbahn-Haltestelle. Das grausame Messerattentat gegen Betende in einer orthodoxen Synagoge in Westjerusalem im November war der traurige Höhepunkt. Hamas preist solche Aktionen. Mahmoud Abbas muss erst von den USA zu einer klaren Distanzierung gedrängt werden. Gewaltsame Übergriffe radikaler Siedler auf palästinensische Nachbarn sind die andere Seite der Medaille. Ein palästinensischer Jugendlicher wurde von Extremisten bei lebendigem Leib verbrannt.
Die verheerend sich aufbauende Aggressivität zwischen den Völkern ist eine Folge des Fehlens jeder Friedensperspektive. Seit US-Außenminister John Kerry seine Verhandlungsbemühungen entnervt beendet hat, herrscht Funkstille zwischen israelischen und palästinensischen Politikern.
Eine konzertierte Anerkennung eines Palästinenserstaates, wie sie in immer mehr EU-Staaten von den Parlamenten gefordert wird, wäre ein symbolischer Schritt, um einen Kompromiss der beiden Völker einzumahnen. Nahezu alle westlichen Regierungen sind davon überzeugt, dass die Sicherheit Israels auf Dauer vom Erfolg eines Palästinenserstaates als Nachbar abhängen wird. Wenn die EU-Staaten für dieses Ziel gemeinsam diplomatische oder wirtschaftliche Instrumente einsetzen, wäre das ein Versuch wieder europäische Nahostpolitik zu machen. In einer zunehmend chaotischen Region kann es keiner Führung in Jerusalem völlig egal sein, wie Paris und Berlin, London und Brüssel denken. Über ein Ende des Besatzungsregimes wird allerdings nur Israel selbst entscheiden.