Merkwürdige Stimmung am US-Wahltag in Washington DC, Falter Maily, 5.11.2024

Am US-Wahltag herrscht eine eigenartige Stimmung in Washington DC. Von meiner mehrjähriger Tätigkeit als ORF-Korrespondent in den USA kenne ich die Stadt ganz gut. Jetzt besuche ich Freunde und versuche die politische Temperatur zu ergründen.  Bei aller imperialen Größe und politischem Imponiergehabe hat sich die amerikanische Hauptstadt  einen lockeren Südstaatenflair bewahrt. Heute bangen die Verantwortlichen, dass  etwas Gröberes schief geht. Rund um das Weiße Haus lassen einige Geschäfte Auslagen verbarrikadieren, als ob ein Hurrikan bevor stünde. Um den Sitz des Präsidenten, der für die Bürger normalerweise gut einsichtig ist, werden Gitter hochgefahren. Den Stadtgewaltigen sitzt noch immer der 6.Jänner 2021 in den Knochen, als der Sturm der rechtsextremen Trump-Fans auf das Kapitol alle überrascht hat.

Ich besuche Peter Rough im Hudson Institut unweit des Weißen Hauses. Peter Rough ist Außenpolitikexperte mit teilweise österreichischen Wurzeln. Er war im Staff von  George W.Bush im Weißen Haus. Das Hudson Institute ist ein konservativer amerikanischer Think Tank. Peter Rough macht sich keine Sorgen. Vorsichtsmaßnahmen gibt es in Washington auch bei anderen Anlässen.

Ich will wissen, ob mit Trump nicht erstmals ein Faschist Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte? Den Begriff lehnt mein Gesprächspartner entschieden ab. Trump übertreibt in seiner Wortwahl zwar manchmal, meint Peter Rough, aber er bleibt Teil des traditionellen konservativen Mainstreams. Das Gespräch können Sie ungeschnitten im aktuellen Falter Podcast hören.

Mit der Vorstellung, dass Trumpismus eine neue Form des Faschismus ist, die ich aus Europa mitbringe, können auch kluge linksliberale Gesprächspartner  wenig anfangen. Trump ist viel zu chaotisch um als Hitler oder Mussolini zu agieren, meint die Bürochefin des Christian Science Monitor,  Linda Feldmann. Auch dieses Gespräch ist heute im Falter Radio zu hören. Der Monitor war eine kleine aber feine amerikanische Tageszeitung, die viel Wert auf Berichterstattung aus aller Welt legte. Vor Jahren erscheint das Blatt nur mehr Online. Die Printausgabe gibt es nur am Wochenende.

Mit echten Zeitungen, oder was ich für echte Zeitungen halte, ist das so eine Sache. Zeitungen in Papier sind gar nicht mehr so leicht zu finden. Gerade noch die Washington Post oder das stramm konservative Gegenstück Washington Times ergattere ich im Seven Eleven. New York Times, Wall Street Journal oder gar Los Angeles Times? Keine Chance. Ein Freund führt mich in einen kleinen Laden unweit des beliebten Dupont Cercle. Dort stapeln sich verstaubte Zeitungen und Zeitschriften jeder Art, manchmal sind auch aktuelle dabei. Wenn ich mich nach der linken Wochenzeitung The Nation erkundige, sagt die nette Verkäuferin, ihr letztes Heft ist leider vom Juli. Alles ist ja online heutzutage. Genau, das Leben ist hart.

Keiner meiner Gesprächspartner  wagt eine Vorhersage, wann das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen klar sein wird. Normalerweise sagen die TV-Networks irgendwann am späten Abend East Coast Time, wer ihrer Meinung nach gewonnen hat. Das war gegen 4 Uhr Nachts Mitteleuropäischer Zeit nach dem Wahltag.  Die Kandidaten haben dieses Urteil akzeptiert, lange bevor die letzte Stimme ausgezählt war. Aber jetzt? CBS, NBC und ABC, die großen Networks, zählt Trump zur Lügenpresse. Fox News, das konservative Gegenüber, hat sich  vor vier Jahren die Wut des Ex-Präsidenten zugezogen, weil Fox Arizona für Biden erklärt hat. Damit war die Wahlnacht gelaufen. Die Frage ist immer, wer  270 Elektorenstimmen erreicht. Arizona dürfte diesmal für die Demokraten schwer zu knacken sein. Aber vielleicht dafür North Carolina? Amerikanische Wahlnächte sind eine gute Übung um sich  die 50 US-Bundesstaaten zu vergegenwärtigen.

Das wird mich diese  Nacht wach halten. Wobei ich die Freunde, die mir Quartier geben,  damit quäle, dass ich nach dem linken Sender MSNBS auch immer  wieder auf Fox News switchen möchte.  Man muss ja den Überblick zu bewahren.

Meinen Gesprächspartnern können Sie im heutigen Falter Podcast zuhören. Welchen Reim ich mir aus dem Wahlergebnis mache, fragt mich am  Mittwoch im Falter Radio Barbara Toth. Hören Sie hinein unter www.falter.at/radio.

Mal sehen, ob wir morgen klüger sind, fragt sich

Ihr Raimund Löw