Amerika braucht Glück, wir auch
Kamala Harris ist die Hoffnungsträgerin der demokratischen Welt. Aber das Wahlkampffinale der amerikanischen Vizepräsidentin verläuft holprig. Trotz permanenter Lügen Donald Trumps, der vielen Verurteilungen und der Umdeutung des Umsturzversuches beim Sturm auf das Kapitol als patriotisches Fest, wollen ihn die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner wählen.
Meinungsumfragen spiegeln die Stimmungslage wider. Es herrscht ein Patt. Kamala Harris steht als Vizepräsidentin für die bestehenden Verhältnisse. Als Frau mit multikultureller Herkunft aus Kalifornien verkörpert sie das linksliberale Establishment. Donald Trump ist dank der Wut der weißen Unterschicht wieder nach vorne gekommen. Der Trumpismus strahlt über den Kern der MAGA-Bewegung, Make America Great Again, in die Mittelschichten und sogar in die Minderheiten aus. Sündenböcke sind undokumentierte Einwanderer, von denen Trump Millionen deportieren will.
In den Battle Ground States, die entscheidend sein werden, liegt die Demokratin Harris mit Trump zumeist gleichauf. Nach ihrer Nominierung hatte die Vizepräsidentin ihren Konkurrenten überholt. Sie setzte auf das Bild eines Amerikas der Vielfalt, in dem soziale Gerechtigkeit, Frauenrechte und Umweltschutz angegangen werden. Donald Trump wurde als verhaltensauffälliger Senior lächerlich gemacht. Diese Zuversicht ist verflogen. „We are not going back“ ist jetzt der Slogan. Im linksliberalen Amerika stehen Warnungen im Zentrum, dass ein Präsident Trump die Demokratie zerstören würde.
John Kelly, ein früherer Stabschef im Weißen Haus, bezeichnet Trump als Faschisten. Seither ist das demokratische Wahlkampflinie. Die Demokraten hoffen, dass sie unentschlossene Wähler durch das F-Wort Faschismus mobilisieren.
Trump vertritt tatsächlich faschistische Ideen. Er pflegt einen Führerkult, hetzt gegen Minderheiten, befürwortet Einsätze des Militärs gegen Proteste, Kritiker will er ins Gefängnis stecken und unbotmäßigen Medien gefügig machen.
Als Präsident hat sich Trump Generäle gewünscht, die wie einst für Hitler willenlose Befehlsempfänger sind. Als ein Wiedergänger des Führers wird er trotzdem nicht wahrgenommen. Eine Administration Trump würde Kritiker unterdrücken, zu einem Führerstaat wird er die Vereinigten Staaten nicht umbauen können.
Zur Tradition der marxistischen Faschismustheorie gehört es, dass sich aggressive Teile des Kapitals mit radikalisierten Massen verbünden. Trumps MAGA-Fans sind aggressive Schreier, kaum jedoch eine faschistische Massenbewegung. Die rechtsextremen Proud Boys bleiben Randerscheinungen. In Philadelphia bot Trump seinen Anhängern 30 Minuten lang eine skurrile Tanzeinlage, das Publikum verlies gelangweilt den Saal.
Schon eindeutiger lässt sich der Part des aggressiven Großkapitals im Trumpismus durch Multimilliardär Elon Musk ausmachen, den reichsten Mann der Welt. Musk duldet in seiner Autofirma Tesla keine Gewerkschaften. Das Raumfahrunternehmen SpaceX will er ohne staatliche Kontrollen betreiben. 75 Millionen Dollar steckt Musk in Trumps Wahlkampf, im Gegenzug hofft er auf einen Regierungsposten.
In den USA ist es Tradition, dass Zeitungen ihre Wahlempfehlung veröffentlichen. Die Washington Post, seit der Aufdeckung des Watergate-Skandals unter Richard Nixon ein Flaggschiff des freien Journalismus, hat einen bereits fertigen Aufruf für Kamala Harris eingestampft und verzichtet auf eine Empfehlung. Die Entscheidung traf der Herausgeber auf Wunsch des Eigentümers Jeff Bezos. In der liberalen Leserschaft und in der Redaktion hat der Vorfall Empörung ausgelöst.
Washington Post Eigentümer Jeff Bezos ist Chef des Versandriesen Amazon. Offenbar glaubt er an einen Wahlsieg Trumps und opfert seine Redaktion, um seine Firma nicht zukünftigen Feindseligkeiten der Administration auszusetzen. Was Appelle der Medien bei Wahlen tatsächlich bewirken, ist fraglich. Aber ausgerechnet vor Donald Trump in die Knie zu gehen ist Ausdruck von Feigheit, schreiben entsetzte Stars des Journalismus.
Experten rechnen vor, dass Trump am 5.November bei den Wählerstimmen amerikaweit vorne liegen könnte, ohne die für einen Sieg erforderlichen 270 Elektorenstimmen zu erreichen. Wenn Kamala Harris dank der Stimmen von Frauen in den Swing States erfolgreich ist, kann sie Präsidentin werden. Bisher war es umgekehrt, Republikaner siegten im Elektorengremium, obwohl sie beim Wahlvolk weniger Stimmen hatten. Klar ist, Kamala Harris wird am 5.Oktober viel Glück brauchen. Wie wir alle, die einen amerikanischen Präsidenten, der best friend mit Diktatoren ist, ganz sicher nicht haben wollen.
ZUSATZINFO
Russische Freundschaften
Donald Trump ist laut Starreporter Woodward Telefonfreund von Vladimir Putin. Sechs Mal hat er seit dem Rausswurf aus dem Weißen Haus mit dem russischen Präsidenten gesprochen. Auch Milliardäre Elon Musk telefoniert häufig mit Putin, weiß das Wall Street Journal. Größter Verlierer eines Sieges von Donald Trump wäre die um ihre Freiheit gegen Russland kämpfende Ukraine.