Die NATO, China, und der Disput Trump/Erdogan/Macron – Notiz für meine Analyse im ORF

In London hat die NATO gestern ihr 70jähriges Bestehen gefeiert. Es war eine kurze Veranstaltung. Ganze drei Stunden waren für den Festakt und die offiziellen Gespräche unter den 29 Mitgliedsstaaten vorgesehen. Die Medien haben zuerst von einem Streit der Personen berichtet, bei dem es meist um US-Präsident Donald Trump gegangen ist. Aber am Schluss war doch wieder Harmonie angesagt. War das mehr als ein Übertünchen der Gegensätze? Wie gefährlich sind Animositäten zwischen Regierungschefs eigentlich für das westlichen militärische Bündnis?
Das ist es um mehr gegangen als persönliche Antipathien. Man hat ja im Vorfeld vor dem Gipfel fast das Gefühl gehabt jeder teilt gegen jeden aus und immer ist Donald Trump im Zentrum des Wirbels gestanden.
Beim Gipfel selbst haben die 29. NATO-Staaten dann doch eine gemeinsame Sprache gefunden. Das ist immer wieder erstaunlich, wie biegsam Politiker sein können, wenn sie wollen.
Aber die Resilienz der NATO ist beträchtlich. Die NATO steht vor keiner Spaltung, trotz aller Meinungsverschiedenheiten. Das ist einmal eine gute Nachricht. Denn was immer man von dem westlichen Bündnis hält und auch von der amerikanischen Präsenz in Europa. Ohne NATO wäre Europa viel weniger stabil und weniger sicher, als jetzt.
Was bleibt ist eine ungelöste tiefe Auseinandersetzung, wo eigentlich die wichtigsten Gegner der NATO liegen. Ob Amerika noch die Führungsmacht bleiben kann.
In der gestrigen Abschlusserklärung des NATO-Gipfels ist erstmals China als Problem bezeichnet worden. Was bedeutet das? Heisst das, die NATO muss sich auf militärische Aktionen in Fernost vorbereiten?
Nein davon ist nicht auszugehen. Man hat ja bewusst darauf verzichtet zu sagen, dass China eine Bedrohung ist. Das Wort Herausforderung wird für China verwendet, was ein feiner Unterschied ist.
Es bedeutet, dass der Aufstieg Chinas in der Welt vom westlichen Bündnis als mögliche Gefahr angesehen wird. Das ist für die NATO neu. Die Konsequenz ist, dass die NATO-Staaten in den Beziehungen zu China bei Handelsfragen, wenn es um chinesische High Techfirmen geht, immer mitdenken werden, dass dahinter eine geopolitische Rivalität um die Vorherrschaft in der Welt geht. Die NATO erwähnt ja auch explizit Huawei, den chinesischen Handyhersteller und Technologiekonzern. Die Amerikaner wollen Huawei aus dem europäischen Markt herausdrängen.
In der Chinafrage haben sich die Amerikaner durchgesetzt. Da müssen die Europäer aufpassen, dass sie nicht in einen Konflikt hineingezogen werden, den sie nicht selbst beeinflussen können.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betont die Beistandsgarantie, die das Fundament der NATO ist. Und militärisch wird von bedeutenden Fortschritten berichtet. Wie passt das zur politischen Unsicherheit?
Das ist ein Widerspruch. Die militärischen Kräfte der 29 NATO-Staaten sind riesig. Die Hälfte des Militärs, das es weltweit gibt, kommt aus der NATO. In den letzten Jahren haben die NATO-Staaten ihre Militärausgaben vergrößert und die Bereitschaft für Krisenfälle erhöht. Das beruhigt die Osteuropäer, die sich nach dem kriegerischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine bedroht fühlen.
Aber gleichzeitig verbündet sich die Türkei, ein ganz wichtiges NATO-Land, im Nahen Osten mit Russland. Das steht total im Gegensatz zur NATO-Politik. Das ist das Zeichen einer gefährlichen Auseinanderentwicklung.
Frankreichs Präsident Macron hat den drastischen Satz verwendet, dass die NATO gehirntod ist. Auch nicht gerade eine beruhigende Diagnose.
Frankreich ist neben Großbritannien die wichtige militärische Kraft in Europa. Frankreich ist ja auch eine Atommacht. Ist klar geworden, in welche Richtung der französische Präsident Emanuel Macron in der Sicherheitspolitik tatsächlich gehen will?
Macron stellt sich in die geopolitische Tradition von Charles De Gaulle, dem Begründer der modernen Fünften französischen Republik. Frankreich war immer klar Teil des Westens unter De Gaulle, aber die Führungsrolle der USA hat Paris nicht so wirklich akzeptiert. Macron lehnt sich an diese Vorstellung an.
Er will eine größere Selbstständigkeit Europas in Sicherheitspolitik. Das ist sein großes Anliegen.
Das Problem dabei: militärisch ist Europa weitgehend von den USA abhängig. Um sich abzukoppeln von den USA müssten die Europäer riesige Mittel in die Rüstung stecken. Das will keine Regierung tun. Eine rein europäische Sicherheitspolitik wird nur in kleinen Schritten entstehen.
Das Hauptquartier der NATO ist ja in Brüssel. In Brüssel hat in diesem Monat die neue Europäische Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen ihre Arbeit aufgenommen. Mit einiger Verzögerung, aber doch. Sie sagt sie will eine geopolitische Kommission. Was ist denn damit gemeint? Geht das in die gleiche Richtung, wie die Ideen Macrons?
Nur zum Teil. Die Rolle der NATO kann die EU nicht übernehmen. Es gibt war jetzt mehr militärische Zusammenarbeit als früher, aber das ist bescheiden, In absehbarer Zeit wird die EU in der Sicherheitspolitik höchstes eine ergänzende Rolle spielen.
Eine geopolitische Kommission, damit meint die neue Kommissionspräsidentin, dass die Europäische Union viel mehr an ihre Außenwirkung denken muss. Egal was sie tut. Egal ob das um Klimafragen geht, um die Flüchtlingspolitik, um die Klimafragen, um Umgang mit den Internetriesen und der digitalen Wirtschaft. Aber wie die EU sich einigt, ob Brüssel wirklich für das gemeinsame Europa sprechen wird, das wird bestimmen, ob die Europäer ernst genommen werden in der neuen Welt mit ihren sehr egoistisch agierenden Giganten von China bis zu den USA.
Bei den Bürgern der meisten EU-Staaten kommt das auch sehr gut an, die Vorstellung, dass Europa in der Welt stärker gemeinsam auftreten soll. Bei den Regierungen der Nationalstaaten ist das nicht so sicher, da ist die Versuchung immergroß, dass jeder gerne sein eigenes Süppchen kochen will.
Die Europäische Kommission ist zwar so etwas wie die Regierung der EU. Aber letztlich das Sagen haben in der EU immer die Mitgliedsstaaten. Mit ihrer Idee einer geopolitischen Kommission appelliert Ursula Von der Leyen an alle Regierungen von Paris und Berlin, bis Warschau und Rom, ihre nationalstaatliche Eigeninteressen etwas zurückzustecken.

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