Chinabilanz nach Tibetreise, ZiB 2, 12.7.2017

Die großen Spannungen in der Autonomen Region Tibet bekommt man von außen nicht zu sehen. Aber Tibet ist eine der ganz sensiblen Regionen für Peking. Die letzten Unruhen in Lhasa sind keine 10 Jahre her. Es gibt vereinzelt sogar Selbstverbrennungen in Tibet, von Mönchen, die ein Fanal für den Dalai Lama setzen wollen. Aber nach außen spürt man das nicht.

             Interview ZiB2
Man sieht die vielen Investitionen in Tibet,  Hochhäuser,  Autobahnen, Zugsverbindungen, wie in ganz China. Bei diesen riesigen Ausmaßen der Region, kann das nur die finanzkräftige Zentralregierung. Man vergisst das gerne:  wenn wir von der Region Tibet reden, einer Autonomen Provinz innerhalb der Volksrepublik China,  dann ist das eine Fläche von Deutschland und Frankreich mal zwei, mal zwei, bewohnt von 3 Millionen Menschen.
Für diese Menschen wird das Leben besser, keine Frage. Aber die Regionalregierung ist für viele Tibeter nicht ihre Regierung, sondern das sind die Abgesandten aus dem fernen Peking.
Warum sich das mächtige Politbüro in Peking vor ein Paar tibetischen Mönchen fürchtet?
Der Dalai Lama ist eine unabhängige Stimme, die nicht von Peking kontrolliert werden kann, der aber von vielen Tibeter gehört und respektiert wird. Das  allein schon macht ihn für Peking zu einem Problem.
Für die Parteiführung ist das fast eine Grundsatzfrage: in diesem riesigen Land, China, mit seinen 1,3 Milliarden Menschen ist wahnsinnig viel in Bewegung, wirtschaftlich, politisch, auch kulturell. Es gibt eine große Vielfalt. Viel mehr, als man in Europa oder Amerika mitbekommt.
Der mächtige Parteichef, Präsident Xi Jinping glaubt, er kann dieses Riesenland nur zusammenhalten, wenn er politisch alles unter strengster Kontrolle hält. Die Medien, das Internet, die Universitäten, alles muss kontrolliert werden.
Jede Stimme, die sich dieser Kontrolle entzieht, gilt da als Gefahr. Der Dalai Lama genauso wie der Friedensnobelpreisträgger Liu Xiao Bo, der  todkrank in einem Spital in Nordchina festgehalten wird.
China ist ein faszinierendes Experiment, weil dort zwei Dinge kombiniert werden, die eigentlich als Widerspruch: ein  wilder marktwirtschaftlicher Kapitalismus, unter der totalen Kontrolle der Kommunistischen Partei.
Das erscheint als totaler Widerspruch, hat aber viel besser funktioniert als andere Modelle.
In den letzten 25 Jahren sind 100te Millionen Menschen in China aus bitterster Armut befreit worden.
Das  ist mehr als durch die gesamte Entwicklungshilfe im Rest der Welt.
China war  in Maos Zeiten  ein bitterarmes Entwicklungsland, heute ist es die zweitstärkste Volkswirtschaft der Erde.
Und die Menschen sind optimistisch, die meisten sind überzeugt, dass es ihnen in 5 Jahren besser gehen wird als heute und dass es ihren Kindern sowieso besser gehen wird.
Da spürt man eine Dynamik, eine Zuversicht, die man sich in Europa manchmal wünschen würde.Die aber in totalem  Widerspruch zu dem autoritären politischen System steht, mit seiner Zensur, seinen Verhaftungen.
Ob die alte Welt, die ich als Korrespondent in Moskau, Washington, Wien, Brüssel und Peking beobachtet habe, zur Zeit aus den Fugen gerät?
Es ist eine neue geopolitische Situation, in der wir stehen.
Die Zeiten sind vorbei, in denen alles auf die USA als alleiniger Supermacht geblickt hat.
Es ist eine multipolare Welt, mit vielen Staaten, die sich als Weltmächte fühlen.  Russland, China, andere Staaten in Asien. Und dieser Übergang läuft chaotisch ab, ohne Plan, mit vielen Unsicherheiten und Risiken.
Die USA sind unter Donald Trump eine  unberechenbaren Supermacht geworden. Das hat es eigentlich noch nie gegeben seit dem Ende des 2.Weltkrieges.
Die Europäer haben an Gewicht verloren, obwohl sich die Wirtschaft ganz gut entwickelt, die Stabilisierung des Euro ist ja gelungen. Aber  die ganze Welt gesehen hat, wie mühsam das war Griechenland und die anderen Krisenstaaten zu retten.
Als Modell kann die europäischen Entscheidungsprozesse kaum angesehen werden.
In Europa wollen Frankreich unter Präsident Macron  und Deutschland mit Kanzlerin Merkel ja gemeinsam einen Anlauf nehmen, um die EU zu stärken.Europa sollte sich auf jeden Fall auf  stürmische internationale Zeiten einstellen.
Es ist eine zutiefst instabile und damit auch risikoreiche  Situation.
Man sieht das in Nordkorea, das ich im Frühjahr besuchen konnte. Ich muss sagen, es war eine beklemmende Erfahrung. Man spürt es jeden Tag: das ist das isolierteste Land der Welt, mit einer staatlichen Führung die dauernd den Menschen einbleut, dass eigentlich Krieg herrscht, dass es innerhalb von Tagen zu einem Angriff der Amerikaner kommen kann.
Aber auch vielen sehr freundlichen Menschen, die durchaus interessiert sind, wie es im Rest der Welt aussieht und was man von Nord im Ausland denkt.
Korea ist weit weg für die Europäer.
Aber man muss ganz offen sagen: von der koreanischen Halbinsel geht die größte Gefahr aus, die es zur Zeit für den Weltfrieden gibt. Korea ist gefährlicher als Syrien oder die Ukraine.
Weil Atomwaffen involviert sind, mit ihrer ungeheuren Vernichtungskraft. Und weil, wenn es zu kriegerischen Verwicklungen kommt, die Gefahr besteht, dass die Weltmächte China und Amerika hineingezogen werden könnten, mit katastrophalen Folgen für die ganze Welt.
Es ist eine Situation, in der sich Spannungen seit Jahren aufbauen und bei denen bisher keine Lösung in Sicht ist.

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