Wie Erdogans autoritärer Populismus enden könnte

Am 14.Mai wählt die Türkei einen Präsidenten und ein neues Parlament. Recep Tayyip Erdogan, der das Land seit zwei Jahrzehnten führt, steht mit dem Rücken zur Wand. Meinungsumfragen sehen den Amtsinhaber und seine islamistische Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung AKP abgeschlagen gegen ein breites Bündnis oppositioneller Kräfte. Die Opposition, die von Kemalisten bis zu gemäßigten Nationalisten reicht, hat sich auf den politischen Veteranen Kemal Kilicdaroglu als Präsidentschaftskandidat geeinigt. Siegt Kilicdaroglu, dann wäre die  Ära des autoritären Populisten Erdogan zu Ende, mit Auswirkungen für die gesamte Region.

  Wochen nach dem verheerenden Erdbeben im Südosten des Landes mit zehntausenden Toten steht die Türkei noch immer unter Schock. Wirtschaftskrise und eine Inflation von 120 Prozent haben traumatische Auswirkungen. Diese Wahlen werden nicht unter normalen Bedingungen stattfinden, warnt Politikwissenschaftler Cengiz Günay. Umfragen, die der Opposition 58 Prozent der Stimmen geben, sind ernst zu nehmen. In der AKP herrscht Endzeitstimmung. Aber würde die Regierung einen Machtwechsel akzeptieren? Erdogan steht wahnsinnig unter Druck und macht nicht den Eindruck, dass er auch ein guter Verlierer sein könnte, sagt der Wiener Politikwissenschaftler Günay. Dementsprechend groß ist die Sorge, dass die Wahlen nicht fair verlaufen werden.

 Die Türkei hat Terroranschläge, einen Putschversuch und bürgerkriegsähnliche Zustände erlebt. Was ein zu allem entschlossener Führer tun könnte, um einer Entmachtung zu entgehen, will man sich lieber nicht vorstellen.

   Erdogan ist in seiner Anfangszeit als proeuropäischer Islamist für wirtschaftlichen  Aufbruch gestanden. Millionen  Bürgern aus den armen Landesteilen gab er  Selbstvertrauen. Das konservative Kopftuch für Frauen und Mädchen wurde zum Symbol des Aufstiegs des religiösen Teils der Bevölkerung. Erdogan baute das Land zu einem Präsidialsystem um, die Justiz wurde instrumentalisiert und Gegner wurden eingesperrt. Aber die Türkei ist keine Diktatur. 2018 haben sich in Istanbul und Ankara Kandidaten der Opposition durchgesetzt.   2023 ist ein Machtwechsel für das ganze Land möglich.

  Erdogans Herausforderer Kemal Kilicdaroglu stellt als  Chef der Republikanischen Volkspartei CHP seit vielen Jahren den Oppositionsführer. Der Sozialdemokrat steht in der kemalistischen Tradition des Staatsgründers Atatürk nach dem Ersten Weltkrieg. Trotz aller Skandale der Erdogan Zeit war seine Partei allerdings alleine nie erfolgreich.  Jetzt haben die Sozialdemokraten ein Bündnis mit kleineren nationalistischen und islamistischen Parteien geschmiedet, die den Sturz Erdogans und eine Rückkehr zum früheren parlamentarischen System verlangen. Als Politikertyp ist der sachliche Kilicdaroglu ein scharfes Kontrastprogram zum bombastischen Erdogan.

Wie stabil ist die Anti-Erdogan-Allianz angesichts der bevorstehenden Stürme des Wahlkampfes? Die Antwort wird  davon abhängen, ob es gelingt die linke und mehrheitlich kurdische Demokratische Volkspartei HDP einzubinden, die außerhalb des Oppositionsbündnisses steht. Das Wählerreservoir der kurdischen Linken beträgt 10 Prozent, ohne die ein Erfolg der Opposition schwer vorstellbar ist. Den türkischen Nationalisten, die ebenfalls unverzichtbar sind, gilt die Demokratische Volkspartei jedoch als Verbündeter der ihnen verhassten kurdischen Guerillaorganisation PKK. Selahattin Demirtas, Co-Vorsitzender der Demokratischen Volkspartei, befindet sich in Haft. Zahlreiche Bürgermeister der linken Kurdenpartei wurden abgesetzt.  Grünes Licht gibt es jetzt zumindest für Verhandlungen zwischen den Führern des Oppositionsbündnisses und kurdischen Vertretern.

  Als großes Problem für die ordnungsgemäße Durchführung von Wahlen bezeichnet Walter Posch,  Türkeiexperte der österreichischen Landesverteidigungsakademie, die Situation in den Erdbebengebieten im Südosten. Eineinhalb Millionen Menschen sind bei Verwandten im ganzen Land untergekommen, mehr als eine Million leben in Zelten ohne fixe Adresse. Wie und wo werden sie abstimmen? Welche Wählerregister sind noch existent? Die Gefahr, dass dort wo sich viel Wut über Erdogan aufgestaut hat, viele Familien gar keine Möglichkeit haben werden wählen, oder dass Wahlurnen verschwinden,  ist groß, sagt Posch.

  Eine wichtige Rolle wird die türkische Community in Deutschland und Österreich spielen, die bisher mehrheitlich Erdogan unterstützt hat. Vielleicht greifen SPD und SPÖ diesmal ihrem türkischen Parteifreund Kilicdaroglu unter die Arme?  Die europäischen Sozialdemokraten könnten einen Beitrag zur demokratischen Zukunft der Türkei leisten. Der Drang nach politischem Wechsel ist so spürbar, wie noch nie in den 20 Jahren der Herrschaft Erdogans.

ZUSATZINFORMATION

Kurden als Zünglein an der Waage

Die linke und mehrheitlich kurdische Demokratische Volkspartei HDP ist mit 56 Abgeordneten drittstärkste Fraktion im türkischen Parlament. Bei einem Wahlsieg der Opposition würde der inhaftierte Kovorsitzende Selahattin Demirtas rasch freigelassen. Die Opposition setzt bei einem Sieg auf eine Wiederaufnahme des Beitrittsverfahrens zur Europäischen Union.

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