Marlovits Johannes (ORF)
Vor 100 Jahren sind also die deutschen Truppen in Belgien einmarschiert –
ist lange her. Raimund Löw in Lüttich, warum wird gerade diesem Ereignis
heute so viel Aufmerksamkeit geschenkt?
Löw Raimund (ORF)
Der deutsche Einmarsch in Belgien, das war nicht einfach der Beginn der
Feindseligkeiten an der Westfront, sondern die deutsche Reichsführung hat
damals ganz bewusst die belgische Neutralität mit Füßen getreten; ein
Zeichen dafür, dass wenn aggressiver Nationalismus sich durchsetzt, dass
Völkerrecht nicht sehr viel wert ist und auch Neutralität nicht sehr viel
wert ist. Es gab die ersten großen Massaker an der Zivilbevölkerung hier in
Belgien, das hat man in Deutschland, in Österreich kleingeredet oder sogar
gerechtfertigt. Der deutsche Bundespräsident hat gesagt, die europäische
Integration war die Antwort der Europäer auf den Krieg, und das ist auch
hier sehr deutlich zu sehen: Es ist die Europa-Hymne gespielt worden, und
dass Vertreter aller damaligen Kriegsparteien jetzt gemeinsam ein
Weltkriegs-Gedenken durchführen, das zeigt doch, dass die Europäer nach den
Katastrophen des 20sten Jahrhunderts einiges gelernt haben.
Marlovits Johannes (ORF)
Wir berichten in diesen Tagen sehr viel über Krisen auf der ganzen Welt –
Ukraine, Nahost, Syrien, und so weiter. Inwiefern spielen diese Krisen beim
heutigen Gedenken eine Rolle?
Löw Raimund (ORF)
Das spielt eine Rolle. Der französische Staatspräsident Hollande hat das
angesprochen, er hat gesagt, es muss eine stärkere europäische Außenpolitik
geben in Richtung Gaza, in Richtung Ukraine, das sind Konfliktsituationen,
in denen Hass und Gewalt dominieren. Das scheint aussichtslos zu sein, aber
das war genau die Situation in Europa vor hundert Jahren auch. Das ist ein
bisschen eine Botschaft der Hoffnung, die von diesem Weltkriegs-Gedenken
ausgeht an die Welt, dass auch Todfeindschaften zwischen Völkern überwunden
werden können, wenn der politische Wille da ist.