Welcher Waffenstillstand für die Ukraine? 8.12.2004

Wenige Wochen vor der  Amtsübergabe an Donald Trump beginnt sich die Welt  auf die neuen Machthaber in Washington DC einzustellen. Die folgenschwerste Veränderung kommt auf die Ukraine zu. Medienwirksam ließ sich Donald Trump in der wiederaufgebauten Kathedrale Notre Dame in Paris mit dem  ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fotografieren. Hinter den Kulissen werden die Weichen für das zukünftige Schicksal der Ukraine gestellt.  Die Europäer haben schon bisher einen Großteil der finanziellen Unterstützung geleistet. In Zukunft könnten sie auch militärisch stärker gefordert sein.

Seit dem Sommer hat sich die Situation für die ukrainischen Verteidiger dramatisch verschlechtert. „Russland ist gerade dabei, diesen militärischen Konflikt zu gewinnen“ warnt der Militärexperte Franz-Stefan Gady. „Die russischen Streitkräfte sind am Vormarsch.“ So katastrophal, dass ein neuerlichen Angriff auf Kiew bevorstünde, sei die Lage nicht. „Aber die Ukrainer sind in der Defensive“. Der Ukrainekrieg ist kein eingefrorener Konflikt mehr, wie man Situationen nennt, in denen der Frontverlauf sich über lange Zeit nicht verändert.

  In Deutschland plädieren Prominente unter „Frieden schaffen“ für einen Waffenstillstand. Wieder einmal, könnte man sagen. Der Appell richtet sich vor allem an die deutsche Regierung. Die Unterzeichner wollen Waffenlieferungen einen Riegel vorschieben. Es wäre eine fatale Schwächung für die ukrainischen Verteidiger, die nach drei Jahren umfassenden Krieges müde, aber nicht gebrochen sind.  Im Fall eines Waffenstillstands werden die zentralen Fragen sein, wo die Trennlinie verläuft und welche Sicherheiten die Ukrainer gegen neue Aggressionen bekommen.

Unter den US-Republikanern kursieren verschiedene Friedenspläne. Trump hatte angekündigt, er werde den Krieg innerhalb von 48 Stunden  beenden. Das war übliche Wahlkampfprahlerei. Schon das letzte Ukraine-Hilfspaket hat den Kongress nur mit Ach und Krach passiert. Die Bereitschaft der USA sich für die Ukraine zu engagieren geht zurück.

 Bei einem Waffenstillstand käme es zu einer  Teilung der Ukraine entlang der aktuellen Frontlinie. Russland würde die Kontrolle über die 2014 annektierte Krim, Donetzk, Luhansk und andere russisch besetzte Gebiete  behalten. Die Ukraine müsste de facto den Verlust eines Fünftels ihres Territoriums hinnehmen, auch wenn die Eroberungen international nicht anerkannt wären.

 Jeder Waffenstillstand wird dem Verdacht ausgesetzt sein, nur eine Zwischenphase für den nächsten Krieg zu sein. Das Münchner Abkommen zwischen Hitler und den Westmächten 1938 hatte die Tschechoslowakei dezimiert, aber den Weltkrieg nicht verhindert. Vladimir Putin glaubt, dass Russen und Ukrainer ein Volk sind, das nur durch die Nazis in Kiew gegeneinander aufgebracht wurden.

  Die Ukraine braucht Überlebensgarantien des Westens, schreibt Trumps Sondergesandter für die Ukraine, Keith Kellogg. Die Nominierung des  pensionierte Generalleutnant gilt als Anzeichen, dass die zukünftige Administration die Ukraine nicht aufgeben wird. 

 Die Ukraine selbst sieht in der Mitgliedschaft in der NATO die einzige Option für effektiven Schutz, bekräftigt  der ukrainische Botschafter in Österreich Vasyl Khymynets. Auch auf bilateraler Ebene könne es Sicherheitsgarantien geben. Negatives Beispiel ist das sogenannte Budapester Memorandum, in dem der Ukraine im Gegenzug für die Aufgabe ihrer Atomwaffen aus der Sowjetzeit die staatliche Souveränität garantiert wurde. Das Versprechen wurde durch den russischen Angriffskrieg gebrochen.  

  Aber in den USA fehlt die Bereitschaft für einen Staat, der von der Atommacht Russland nicht akzeptiert wird, Amerikas nukleares Schutzschild auszuweiten, wie das Artikel 5 des NATO-Vertrages impliziert.   

Könnten kriegsbereite Soldaten aus Europa zur Abschreckung gegen Russland in der Ukraine stationiert werden? Diesen Plan vertreten die  französischen Sicherheitsexperten Elie Tenenbaum und Leo Litra im angesehenen US-Magazin Foreign Affairs. UNO-Blauhelme wären nicht ausreichend. „Es müsste sich um mehrere Brigaden handeln, die die europäischen Streitkräfte bereit stellen“,  ergänzt Militärexperte Stefan Gady. „Das wären Größenordnungen von mehreren 10 000 Soldaten, plus zusätzliche Unterstützer, Flugabwehr und Raketenabwehrsysteme.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Möglichkeit westlicher Truppen zum Schutz der Ukraine bereits vor Monaten angedeutet. Ein allgemeines Stirnrunzeln war die Folge. Jetzt ist Macron durch eigenes Verschulden schwer angeschlagen. Die wiederauferstandene Notre Dame in Paris ermöglichte es ihm Trump und Selenskyj zusammen zu führen. Damit Europa die Ukraine nicht untergehen lässt, wird mehr erforderlich sein.

ZUSATZINFORMATIONEN

30 Jahre  Budapester Memorandum

Am 5.Dezember 1994 verzichteten die Ukraine, Belarus und Kasachstan auf alle Nuklearwaffen. Im Gegenzug gab es Sicherheitsgarantien  Russlands, der USA und Großbritanniens, die seit dem Beginn des russischen Krieges bei der Annexion der Krim 2024 verletzt werden. In Kiew ist die Überzeugung weit verbreitet, dass die Ukraine durch Abgabe der Atomwaffen schutzlos wurde.