Die Weltunordnung wird 2025 eher zunehmen, 17.12.2024

  2024 war das Jahr einschneidender Schocks in der Weltpolitik. Die Konsequenzen werden 2025 prägen.

  Das rasende Tempo plötzlicher Veränderungen in  Syrien verschiebt die Realitäten des Nahen Ostens. Noch vor wenigen Wochen war Baschar Al-Assad der umworbene Herrscher Syriens. Österreich befürwortete einen Kurswechsel der EU in Richtung normaler Beziehungen zu dem Diktator. Der Siegeszug der Rebellen hat alle überrumpelt. Jetzt bleibt dem Westen nichts anderes übrig als auf die politische Vernunft einer islamistischen Gruppe zu setzen, deren ursprüngliches Ziel ein Gottesstaat war.

  Die USA hatten auf den neuen Machthaber in Syriens, den Chef der HTS-Miliz Al-Julani, als  gefährlichem Terroristen ein riesiges Kopfgeld in der Höhe von 10 Millionen Dollar gesetzt. Mit dem Mann muss man nun verhandeln. Wer als Terrorist behandelt wird und wer nicht erweist sich einmal mehr als Frage der politischen Zweckmäßigkeit.

Der große Verlierer der letzten Wochen ist der Iran. Die Islamische Republik hat  mit der Hisbollah Miliz im Libanon und dem Assad Regime in Syrien ihre bis zum Mittelmeer reihende sogenannte Achse des Widerstands verloren. Es ist eine dramatische Wende für die Machthaber in Teheran, deren Einfluss seit dem Sturz Saddam Husseins im Irak durch die USA stetig gestiegen war.

   Der Iran steht in einem verdeckten Krieg mit Israel und muss 2025 mit erhöhtem Druck aus den  USA  rechnen. Netanjahu und Hardliner im Lager von Donald Trump streben Regime Change in Teheran an, den Sturz des Islamistischen Regierungssystems. Immer lauter werden in Teheran die Stimmen, die aus Selbstschutz  möglichst rasch die letzten Schritte zur Atombombe setzen wollen. Im kommenden Jahr kann die Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm sehr rasch eskalieren.

Israel, selbst eine Atommacht, hat seine militärische Überlegenheit in der Region mit einem Feldzug aus der Luft gegen die wehrlose syrische Armee ausgeweitet. Im Völkerrecht gibt es dafür keine Rechtfertigung, sagt ein UNO-Experte. Angesichts des Risikos, dass ein modernes Waffenarsenal inklusive Giftgas in die Hände von Dschihadisten fällt, konnte man die Militäraktion anfangs nachvollziehen.  Der Vorwurf des Völkermordes, den Menschenrechtsorganisationen und internationale Ankläger gegen Israel wegen der rücksichtsloser Kriegsführung in Gaza erheben, mag den  Eliten in Jerusalem egal sein. Für große Teile der Welt agiert Israel wie eine Regionalmacht, die glaubt, sich um das Völkerrecht nicht kümmern zu müssen. NZZ-Chefredakteur Eric Gujer sieht das anders und findet in der großen Weltunordnung unserer Zeit müssen Staaten ihre Interessen ähnlich wie Israel ohne viel Rücksicht auf Regeln durchsetzen. Wie weit der Siegestaumel Netanjahus führen wird, hängt von der Widerstandskraft der israelischen und palästinensischen Zivilgesellschaft ab.

 Das Besondere an der internationalen Politik 2025 wird die weitgehende Unberechenbarkeit der Supermacht Amerika unter Donald Trump sein. Trump wird erst am 20.Jänner 2025 Präsident.  Am Sitz des President elect in Mar-o-Lago können sich Trumps Mitarbeiter der vorauseilende Gesten der Ergebenheit  aus aller Welt kaum erwehren. Der Machtwechsel in Washington ist zu einem unwürdigen Schauspiel geworden.

   Die alles überragende Frage ist, ob  Donald Trump die Ukraine aufgeben wird, wie Putin hofft? Die russischen Streitkräfte sind  militärisch in der Offensive. Aber Kriegsbegeisterung gibt es in Russland keine. Die Ukraine ist erschöpft, aber nicht entmutigt. Ein Waffenstillstand durch einen Deal der Großmächte liegt in der Luft. Die Ukraine würde ein Fünftel ihres Territoriums verlieren, müsste im Gegenzug jedoch Sicherheitsgarantien erhalten, die über das Papier vertraglicher Zusicherungen hinausgehen. Hinter der Waffenstillstandslinie, die 1953 den Koreakrieg beendet hat, stehen zum Schutz Südkoreas 30 000 amerikanische Soldaten und die Garantie des atomaren Schutzschildes der USA. Wer eine vergleichbare Rolle für die Ukraine übernehmen kann wird im nächsten Jahr zu entscheiden sein.

Resilienz beweist in turbulenten Zeiten die Europäische Union. Die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen erweist sich als stabiler Faktor, während in Paris und Berlin die Regierungen kollabieren.  Brüssel steht unbeirrt zum Verteidigungskampf der Ukraine und drängt die flatterhaften Mitgliedsstaaten zu zeitgemäßer Industriepolitik. Die Vorwärtsstrategie der Europäer hat Mario Draghi, der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, in einem dreihundert Seiten dicken Bericht skizziert. Aber wie realistisch sind europäische Pläne, wenn Wladimir Putin droht und Donald Trump poltert?

 Eine zuversichtliche Note war vor Kurzem vom amerikanischen Europaexperten Eric Jones im Bruno Kreisky Forum zu hören. Die Europäer brauchen oft lange sich auf neue Situationen einzustellen. Aber letztlich sind sie für Überraschungen gut. Daher ist es zum EURO gekommen, dem Binnenmarkt und dem Abbau der Grenzen. Eric Jones sieht einen durch EU-Fonds stabilisierten Sozialstaat.  Trumps Drohung mit Zöllen ist für ihn ein Anreiz, damit mehr Investitionen nach Europa fließen.

 Der britische Economist bezeichnet Spanien als die erfolgreichste Volkswirtschaft unter den Industriestaaten. Erstaunlich, wenn man an das Gezerre um die EU-Finanzhilfen denkt, die diesen Aufschwung angestoßen haben

Sogar Österreichs Innenminister kratzt die Kurve und gibt grünes Licht, damit Rumänien und Bulgarien Teil des Schengenraumes werden können.  Zusätzliche Dosen Vernunft werden wir im kommenden Jahr alle brauchen können,