Es sind beunruhigende Nachrichten aus der Ostukraine. Nach Monaten relativer Ruhe nehmen die Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Rebellen wieder zu. Die NATO ist alarmiert, weil Russland Truppen verlegt. Steuern wir sieben Jahre nach der russischen Annexion der Krim wieder auf einen heißen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu?
Zur Zeit sind das Drohgebärden. Aber man vergisst das leicht: es ist ein gefährlicher ungelöster Konflikt in der Ostukraine. Immer wieder kommt es zu Schusswechsel zwischen Rebellen, die von Russland unterstützt werden, und der ukrainischen Armee. Es gibt wieder mehr Tote.
Wenn da die dominierende Militärmacht Russland plötzlich beginnt groß aufzumarschieren, dann ist das gefährlich und riskant. Die NATO sagt, dass es seit sieben Jahren, als Russland den Konflikt begonnen hat, es noch nie so viele russische Soldaten nahe der ukrainischen Grenze gegeben hat. Russland bestreitet das auch gar nicht. Im Kreml heisst es nur, es geht niemanden etwas an, wo Russland seine Truppen bewegt. Und das seien Manöver, mit denen man auf ukrainisches Vorgehen gegen die Rebellen reagiert.
Dazu kommen Behauptungen, die gefährlich sind. Denn Moskau sagt, die Ukraine bereite Massaker an der russischsprachigen Bevölkerung in den Rebellengebieten vor, wie in Srebrenica im bosnischen Bürgerkrieg. Sollte es dazu kommen, dann werde Moskau nicht tatenlos zusehen. Dieses Argument, man muss russischen Bürgern zu Hilfe kommen, das hat es auch gegeben, wie der Krieg gegen Georgien 2008 vorbereitet wurde. Und auch vor der Intervention auf der Krim vor 7 Jahren.
Daher die Aufrufe bei der NATO und in westlichen Staatskanzleien, dass Putin seinen Truppenaufmarsch zurücknehmen soll.
Joe Biden hat Putin sogar einen Gipfel vorgeschlagen. Ist das nicht erstaunlich, nachdem er noch vor Kurzem gesagt hat, dass er den russischen Präsidenten für einen Killer hält?
Die Aussage mit dem Killer ist in einem Fernsehinterview passiert. Da hat Biden wahrscheinlich mehr an die amerikanische Innenpolitik gedacht als an die diplomatischen Konsequenzen. Das hätte ihm eigentlich nicht passieren dürfen. Dass Biden jetzt trotzdem mit Putin telefoniert, genauso wie andere westliche Politiker, auch Angela Merkel hat mehrmals im Kreml angerufen, das zeigt, wie gefährlich man die Situation einschätzt.
Ein Gipfel wäre auf jeden Fall sinnvoll. Nur muss das vorbereitet werden. Das kann Monate dauern. Biden ist nicht wie Trump jemand, der aus der Hüfte schießt.
Für einen Gipfel zwischen Biden und Putin hat sich Wien als Veranstaltungsort angeboten, genauso wie Prag und Helsinki. Aber Kriegsgefahr zwischen Russland und der Ukraine, die in den Medien beider Staaten jetzt heraufbeschworen wird, muss viel schneller gebannt sein, als man zu einem Gipfel kommt.
Was will denn Putin mit diesem Militäraufmarsch erreichen und wie reagiert die Ukraine?
Die ukrainische Regierung fordert vom Westen Unterstützung, der ukrainische Außenminister war bei der NATO in Brüssel. Und der ukrainische Präsident Selensky bringt sogar wieder eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ins Gespräch, was ja ein rotes Tuch für Moskau ist und auch in Europa sehr umstritten ist.
Der ukrainische Präsident Selensky ist nicht bereit dauerhaft auf die Rebellengebiete zu verzichten, wie man das vielleicht in Moskau einige Zeit geglaubt hat. Er hat einen prorussischen Fernsehsender schließen lassen und geht gegen russlandfreundliche Oligarchen vor.
Es kann sein, dass Russland diese Militärmanöver als Druckmittel gegen die ukrainische Regierung sieht, um größere Konzessionen in Richtung Rebellen zu machen.
Aber in Russland könnte es auch innenpolitische Gründe geben Spannungen nach außen hochzufahren. Die Zustimmung in der Bevölkerung für Putin geht zurück. Im Herbst sind Dumawahlen. Die Regierungspartei ist unpopulär. In solchen Situationen ist die Versuchung immer groß von inneren Problemen durch einen harten Kurs nach außen abzulenken.
Welche Rolle spielt die Krim, von ja vor sieben Jahren von Russland annektiert wurde und wie ist die Situation in den ostukrainischen Regionen, die von prorussischen Kräften beherrscht werden?
Formell gehören die prorussischen Rebellengebiete in der Ostukraine nach wie vor nicht zu Russland. Aber die Währung ist der Rubel, Russisch ist die einzige Amtssprache, 400 000 russische Pässe haben die Behörden für die Bewohner ausgestellt. Diese Präsenz Russlands ist für die Regierung in Kiew eine offene Wunde und eine Provokation.
Die Krim spielt in dem jetzigen Konflikt eine wichtige Rolle. Und zwar weil die Krim auf Wasser aus der Ukraine angewiesen ist. Es gibt dazu einen Kanal, den Nord-Krim-Kanal, der die Krim mit Wasser aus einem nahegelegenen Fluss versorgen soll. Aber der Kanal liegt auf Gebiet, das von den ukrainischen Behörden kontrolliert wird, und die haben die Wasserzufuhr gestoppt. Im letzten Jahr hat es wenig geregnet auf der Krim, die geplanten tiefen Brunnen wurden nicht ausreichend gebaut, es herrscht echte Wasserknappheit, auch die vielen russischen Soldaten verbrauchen mehr Wasser als die ansässige Bevölkerung allein.
Eine der Sorgen auf ukrainischer Seite ist immer, dass Russland darauf sein könnte handstreichartig die Teile in der Südukraine zu besetzen, die zur Wasserversorgung der Krim nötig sind.
Russland war mit der Ukraine historisch und kulturell eng verbunden. Aber abgefunden hat man sich in Moskau nicht, dass die Ukraine jetzt eben ein eigenständiger und souveräner Staat ist.
In den Schlagzeilen kam Russland zuletzt wegen der Verhaftung des Antikorruptionskämpfers Alexej Nawalny. Jetzt ist er im Gefägnis. Was weiß man über seine Lage?
Nawalnys Lage ist schlimm. Er ist in Hungerstreik getreten, weil er über viele gesundheitliche Probleme klagt und weil er erzwingen will, dass er medizinisch versorgt wird von einem Arzt seines Vertrauens. Seine Frau hat ihn in den letzten Tagen besucht und sie sagt, Nawalny ist total geschwächt. Sie hat durch eine Scheibe getrennt mit ihm sprechen können und er war so schwach, dass er den Telefonhörer kaum halten konnte. Die Freunde Nawalnys fürchten um sein Leben.