Die Welt des Hugo Portisch und wir

   Österreichs Fenster zur Welt wurde Hugo Portisch in einer Zeit, in der unser Land klein, eng und selbstzufrieden war. Der bescheidene Wohlstand nach dem Wiederaufbau nahm zu. Die Neutralität ersparte den Menschen  über die eigenen Grenzen hinaus zu blicken. Portischs Reportagen im Kurier Anfang der 196oer Jahre aus der Sowjetunion, aus China, aus Vietnam waren das Kontrastprogramm zum erstickenden  Provinzialismus.

  Die Artikelserie über den Vietnamkrieg im Kurier, den mein Vater jeden Tag nach Haus brachte, habe ich mir ausgeschnitten und gesammelt. In Indochina verteidigen die Amerikaner unser aller Freiheit, nahm ich mit. Im Hietzinger Gymnasium ließ der Direktor über die Lautsprecheranlage ein Vater Unser beten, als  John F.Kennedy ermordet wurde. Ein Atomkrieg ist jetzt wahrscheinlich, meinten die Lehrer. Als bald zwölfjähriger Portischfan wusste ich, warum  wir auf der Seite der Amerikaner stehen.  Blue Jeans waren allerdings in unserer Schule verboten, Coca Cola galt als amerikanisches Teufelszeug, die Lehrer erzählten von Stalingrad.

  Portischs Begeisterung für Amerika half den Kopf frei zu machen von der heimischen Enge. Wenig später begann die amerikanische Jugend zu revoltieren. Wie waren begeistert, solidarisierten uns mit den demonstrierenden Studenten in den USA und dem kämpfenden Vietcong in Indochina. Hugo Portisch war für uns  Establishment. Aber was er über Akademgorod, die Wissenschaftlerkolonie in Sibirien, zu berichten hatte, faszinierte. Ein Hort der Innovation in der Öde der Sowjetunion, ist das denkbar? China war fern und Mao Tsetung war ein globaler Rebell. Irgendwie fand ich Portischs Berichte  aus China  interessanter, als die  Propagandaschriften aus der chinesischen Botschaft.

  Fernsehen war in den 1970er-Jahren für linke Jugendliche out. Nur wenn Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit, die Symbolfiguren der 68-er Revolte, oder Ernest Mandel, der trotzkistische Ökonomen aus Belgien, im Club 2 zu sehen waren,  begab man sich zum Farbfernseher im Extrazimmer des Cafe Dobner am Naschmarkt.

  Als junger ORF-Korrespondent habe ich Hugo Portisch in Moskau persönlich kennen gelernt. Die Sowjetunion war im Aufruhr. Portisch forschte in sowjetischen Archiven. Im georgischen Cafe Pirosmani, einem der ersten privat betriebenen Restaurants in Moskau, besprachen wir die Lage. Die Kalten Krieger  hielten Gorbatschows Glasnost für einen kommunistischen Trick, um die freie Welt in die Irre zu führen. Portisch hatte ein Sensorium für historische Transformationen. Wir stehen in einer Zeitenwende. Der Kalte Krieg geht zu Ende, lautete seine Diagnose. In den Diskussionen mit der ORF-Zentrale, in der viele an die demokratischen Aspirationen Gorbatschows nicht glauben wollten, war er der wache Geist.

  Im letzten Jahr der Sowjetunion rüstete Amerika zum ersten Golfkrieg, um Saddam Hussein aus dem  Ölstaat Kuweit zu vertreiben. Es war noch Kalter Krieg. Die Sowjetunion hatte ein Wörtchen mitzureden. Portisch analysierte im Fernsehen den heraufziehenden Krieg aus dem ORF-Büro in Moskau. Jeden Samstag baute er sein Kurzwellenradio für den internationalen Überblick auf. Dann einige Telefonate und Recherchen. Schließlich war der Text fertig, diktiert an seine Assistentin. Aber während der Aufzeichnung via Satellit nach Wien fielen Portisch immer neue Verbesserungen ein. Wieder und wieder scheiterte er am Text. Bis Christian Schüller, damals ORF-Bürochef in Moskau, die geniale Idee hatte, zu behaupten, dass die gebuchte Zeit auf dem Satelliten ausläuft, es würden nur mehr vier Minuten verbleiben. Portisch wurde schlagartig voll konzentriert, er richtete sich auf und lieferte fehlerfrei die gewünschte Analyse. Die Szene hat er später selbst lachend beschrieben.

  Bei internationale Krisen geht in  Portischs Analysen immer alles irgendwie gut aus. Selbst die schlimmste Katastrophe hat  ein Happy End, weil die Guten eine Chance haben zu obsiegen.  Für Kritiker ein unbefriedigender Optimismus. Franz Kössler, damals neuer ZiB-1-Chef, erzählt, Portisch hat ihm einen Rat mit auf die journalistische Reise gegeben. Die Menschen, die uns zuhören, müssen einen Ausweg sehen, so Portisch im Originalton, sonst können sie keine sinnvollen Lehren ziehen.

  Im miesepeterischen Österreich wirkte Portischs amerikanische Zuversicht  erfrischend. Journalismus war für ihn nicht nur die gesicherte Weitergabe überprüfter Informationen, sondern auch eine Kontrolle der Mächtigen. In den USA gilt die freie Presse als vierte Macht im Staat. Unabhängigen Journalismus wollte er auch für den öffentlichen Rundfunk, der in autoritären Systemen ein Transmissionsriemen für diktatorische Gelüste ist. In der Zeit der türkisblaue Koalition unter Kurz und Strache war der Druck auf Österreichs Medien unübersehbar. Hugo Portisch arbeitete für ORF III an der Neufassung seiner Dokumentationen. Der Einladung im Falter Podcast die internationale Lage mit  Donald Trump zu sezieren kam er augenblicklich nach. Die journalistische Vielfalt war für ihn ein Wert an sich. Irgendwie wird man fast ehrfürchtig, mit einer Person wie Hugo Portisch an einem Tisch die Welt zu bereden, staunte die kluge Isolde Charim als die Aufzeichnung zu Ende war. Sie hatte recht.

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