Verschläft Österreich die Zeitenwende?, Falter Maily 9.3.2025

Wäre man zynisch, könnte man zum Schluss kommen, dass Donald Trump für alle, die er attackiert, ein Geschenk ist. Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum führt die selbstbewusste Reaktion auf die vom US-Präsidenten verhängten Zölle zu lichten Höhen in den Meinungsumfragen. Dabei war die linke Politikerin immer schon sehr beliebt. Nach einem persönlichen Telefonat zwischen den beiden Staatschefs verschob Trump neuerlich die geplanten Zollerhöhungen. Kanadas Premierminister Justin Trudeau wird demnächst abtreten. Im Finale seiner politischen Karriere macht ihn sein Widerstand gegen die Trump’schen Anschlusspläne noch einmal populär. Bei einem Gipfel mit den Europäern in London warb Trudeau um Unterstützung im Fall eines Angriffs durch die USA. Das ist kein Scherz.Die Ukraine kommt durch den Seitenwechsel der USA in schwere Not. Präsident Wolodymyr Selenskyi wird im Widerstand gegen die Beschimpfungen aus der Trump-Administration neuerlich zum Symbol des ukrainischen Nationalstolzes. Nach dem Aufruf zum Widerstand aus dem ukrainischen Präsidentenpalast in den Tagen des russischen Einmarsches 2022 schart sich die Nation um ihren Präsidenten. Die Versuche der Trump-Administration, in den ukrainischen Eliten Verbündete gegen Selenskyi zu finden, sind kläglich gescheitert. Vom früheren Generalstabschef Walerij Saluschnyj, der heute Botschafter in London ist, bis zu Julia Timoschenko stellen sich potenzielle Rivalen hinter den Präsidenten.Europa findet nach einer Zeit des Zögerns und der Unsicherheit angesichts des Ansturms rechtsrechter Nationalisten in den Nationalstaaten wieder zusammen. Die Unterstützung für Selenskyi beim letzten EU-Gipfel war eine demonstrative Geste gegen den prorussischen Kurs der US-Administration. Donald Trump eint die Europäer, wenn er die NATO-Beistandsklausel für Staaten, die seiner Meinung nach zu wenig für ihre Rüstung tun, infrage stellt.Mit seinem Kurs der weltweiten Destabilisierung hat der US-Präsident Deutschland vom Korsett der sogenannten Schuldenbremse befreit. Mehr als 800 Milliarden wird die deutsche Bundesregierung aufnehmen, um Waffen zu kaufen und Brücken instand zu setzen. Die österreichische Wirtschaft hofft, davon zu profitieren. Die Wende um 180 Grad von CDU/CSU in der Frage von Staatsschulden innerhalb von wenigen Tagen ist atemberaubend. Sie ist gleichzeitig auch ein Beweis für den Pragmatismus der deutschen Eliten. Im Rückblick wird der Sparwahn, den das Duo Schäuble und Merkel (mit aktiver Unterstützung Österreichs) ganz Europa aufzwingen wollte, als Beispiel gelten, wie sich ein großes Land mit vielen klugen Ökonomen in eine selbst geschaffene Sackgasse verrannt hat.Militärische Aufrüstung, wie sie der EU-Gipfel letzte Woche beschlossen hat, wird für die neue Lage nicht reichen. Der Satz des Militärtheoretikers Clausewitz, dass der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, gilt noch viel mehr für die Abschreckung. Teure militärische Sicherheit wird in Demokratien auf Dauer nur möglich sein, wenn dahinter die Idee einer zu schützenden politischen Gemeinschaft steht. Der US-Präsident macht den Europäern mit seiner Erpressungspolitik klar, dass sie für ihre eigene Sicherheit nur mit einem Sprung in Richtung Vereinigte Staaten von Europa sorgen können.Für Österreich ist dank der Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und NEOS die Versuchung gebannt, in der Europäischen Union als Störfaktor zu agieren. Man will sich nicht vorstellen, wie der Gipfel verlaufen wäre, wenn ein rechtsextremer Kanzler aus Österreich den Ungarn Orban bei seiner Sabotage der Ukraine-Solidarität unterstützt hätte. Aber die Extremsituation, in die uns Trump und Putin hineinstoßen, hat die Regierungsspitze noch nicht wahrgenommen. Das Regierungsprogramm ist aus der Zeit gefallen, geißelt Stefan Lehne (siehe weiter unten) die geopolitische Realitätsverweigerung im Koalitionsvertrag. Gut, das Bundesheer wird aufgerüstet. Gut, Bundeskanzler Stocker unterstützt den 860 Milliarden Investitionsplan für Europas Militär. Aber bei der Unterstützung des Verteidigungskampfes der Ukraine geht man über Bekanntes nicht hinaus. Dabei stellen der britische Premier Starmer und Frankreichs Präsident Macron gerade eine sogenannte Koalition der Willigen zur Unterstützung der Ukraine bei einem Waffenstillstand zusammen. Wie steht Österreich dazu?Klar, das Neutralitätsgesetz steht im Verfassungsrang und wäre nur mit einer Zweidrittelmehrheit zu modifizieren, auch wenn sich die Weltlage längst verändert hat. Aber ungeachtet der Neutralität stehen österreichische Bundesheersoldaten im Kosovo im Rahmen einer NATO-Friedensmission im Einsatz. Die Juristen des Bundespräsidenten halten einen Einsatz von Bundesheersoldaten bei der Minenräumung für rechtlich möglich. Die drei Regierungsparteien haben das aktuelle Weltchaos bei ihren Koalitionsverhandlungen ganz offensichtlich ausgeblendet. Beim Regieren ist das nicht mehr möglich. Ein politisches Signal der Bundesregierung, dass Österreich bereit ist sich an den europäischen Anstrengungen für die Ukraine zu beteiligen, wäre dringend erforderlich. Die Freiheitlichen würden toben, aber das tun sie jetzt schon. Kanzler, Vizekanzler und Außenministerin sollten ein Zeichen setzen, dass sie bereit sind, über die Routine der Zeit vor Putin und Trump hinauszugehen. Wer in der Scheinwelt von Sicherheiten stecken bleibt, die vor unser Augen gerade zerbrechen, schadet sich selbst und dem Land, fürchtet ihr
Bild von Raimund LöwIhr Raimund Löw
Österreich
Die Welt im Aufruhr – und Österreich macht Außenpolitik weiter wie bisher. So kritisiert der Europaexperte und ehemalige Top-Diplomat Stefan Lehne im Standard eine Kopf-in-den-Sand-Haltung der Bundesregierung. Während Europa vor einer Zerreißprobe steht, legt die neue Koalition von ÖVP, SPÖ und Neos ein Regierungsprogramm vor, das in seiner Fixierung auf den Status quo an Realitätsverweigerung grenzt.
Deutschland
Daniel Cohn-Bendit, Symbolfigur für die Studentenbewegung von 1968, und Politikwissenschaftler Claus Leggewie beschreiben den Wandel ihrer Positionen in der TAZ. Sie unterstützen die Aufrüstung Europas und der deutschen Bundeswehr als „Widerstand gegen Feinde der Freiheit, der auch Hitler und Stalin zu Fall gebracht hat“.Eine schroffe Gegenposition vertritt der aus Graz stammende Außenpolitikexperte August Pradetto in der linken Wochenzeitung „der Freitag“. Pradetto glaubt zu wissen, dass das russische Militär zu schwach ist eine Gefahr für Europa darzustellen. Die Aufrüstung hält er für unnötig. Man wundert sich, wie jemand dem Seitenwechsel der Supermacht USA zum Aggressor Russland so viel Positives abgewinnen kann.
Die WeltWie China mit dem Weltchaos à la Donald Trump umgeht habe ich mit der Journalistin Yang Xifan, den Sinologinnen Anna Lisa Ahlers und Susanne Weigelin-Schwiedrzig sowie dem China-Experten Jörg Wuttke im Bruno Kreisky Forum diskutiert (hier im FALTER Radio zu hören).Die Volksrepublik China ist nach den Vereinigten Staaten von Amerika die wichtigste Wirtschaftsmacht des Globus. Beim Aufstieg zur Weltmacht sind China und die USA Rivalen. Wie der Kampf um die Vormachtstellung zwischen China und den USA ausgetragen wird, wird über den Fortgang des 21. Jahrhunderts entscheiden.