An den Südgrenzen Europas und in den Vereinigten Staaten ist es in den letzten Wochen zu Migrationstragödien gekommen, die angesichts des nicht enden wollenden Ukrainekrieges an vielen von uns vorbei gegangen sind. Zu unrecht.
In einem Industriegebiet unweit der Highway im texanischen San Antonio fand der Automechaniker Roberto Quintero am 29. Juni ein weinendes Kind vor einem großen Truck mit texanischer Nummerntafel, das auf Spanisch um Hilfe rief. Der Mann rief die Notrufnummer 911. Die Beamten fanden 250 Kilometer von Grenze von der Grenze zu Mexiko entfernt 64 tote oder sterbenden Mexikaner sowie Familien aus Honduras, Guatemala und El Salvador. Wie lange die Fahrt in extremer Hitze, bei fehlende Lüftung und ohne Wasser gedauert hatte, war nicht klar. Wahrscheinlich hat der Fahrer die Migranten übernommen, nachdem sie irregulär über die Grenze gekommen sind, um sie zu Freunden oder Verwandten in eine amerikanische Großstadt zu bringen. Der Truck hatte mehrere Checkpoints der amerikanischen Einwanderungsbehörde unbehelligt passiert. Der Gouverneur von Texas, Greg Abott, ein republikanischer Hardliner, versuchte sofort aus der Tragödie politisches Kapital zu schlagen und Präsident Biden laxe Einwanderungspolitik vorzuwerfen. Die Wirtschaftskrise in Mexiko und schrumpfende Einwanderungsmöglichkeiten befeuern das Geschäft mit falschen Trucks für den Menschentransport, sagen Migrationsexperten.
Es ist eine Katastrophe, wie sie Europa und Österreich 2015 bei Parndorf erlebt hat. Die 71 Opfer in dem Kühltransporter erstickten Menschen waren damals aus dem Irak, Afghanistan, Syrien und dem Iran gekommen.
Ein paar Tage zuvor endete in Nordafrika der Versuch von 2000 zumeist aus dem Sudan kommenden Migranten in die spanische Enklave Melilla zu gelangen mit einem Massaker der marokkanischen Grenzpolizei. Zwei Dutzend junge Menschen wurden von der Polizei getötet. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez hatte der Exekutive des Nachbarstaates anfänglich gratuliert, weil sie die Grenzen Spaniens geschützt hätten. Erst nachdem schockierende Bilder bekannt wurden, wie die prügelnde Polizei schwer verletzte Flüchtlinge krepieren lässt, bedauerte Sanchez die Opfer und kündigte eine Untersuchung an.
Wegen eines Streits zwischen Madrid und Rabat über die von Marokko annektierte Westsahara ließ die marokkanische Polizei vor einem Jahr tausende Flüchtlinge über die Meeresenge nach Spanien schwimmen. Inzwischen hat Spanien seine Westsaharapolitik verändert. Offenbar wollte Marokko jetzt an den Sudanesen demonstrieren, dass man wieder bereit ist die Schmutzarbeit beim Grenzschutz zu übernehmen.
Kriminelle Methoden um Flüchtlinge abzuhalten wirft ein Reporterkollektiv, an dem Der Spiegel und Le Monde beteiligt sind, dem Grenzschutz in Griechenland vor. Die Polizei erpresst Flüchtlinge und setzt sie als Polizeispitzel ein, die die Aufgabe haben, andere Flüchtlinge wieder zurück in die Türkei zurück zu treiben. Nach europäischem Recht sind Pushbacks, durch die Menschen abgewiesen werden, die ein Recht darauf haben einen Asylantrag zu stellen, illegal. Die Behörden haben sie als „Sklaven“ eingesetzt, um andere Flüchtlinge zurückzutreiben, berichten mehrere Migranten. Versprochen wurde ihnen dafür ein Aufenthaltstitel, der ihnen die Weiterreise nach Nordeuropa ermöglichen sollte.
Die Liste lässt sich fortsetzen. Der Europäische Gerichtshof verurteilt Litauen wegen der verbotenen Inhaftierung von Flüchtlingen aus dem Irak und Syrien, die aus Belarus über die Grenze kommen. Tausende Menschen sind betroffen. Die Regierung in Vilnius behauptet, die illegale Methode sei zum Schutz der EU-Außengrenze erforderlich.
In Österreich beteuert der Innenminister, dass es keine illegalen Pushbacks gibt. Allerdings hat das Verwaltungsgerichtshof am 9.Juni 2022 einem aus Marokko stammenden Flüchtling recht gegeben, der widerrechtlich nach Slowenien abgeschoben wurde. Die NGO SOS Balkanroute spricht von hunderten vergleichbaren Fällen von Ketten-Pushbacks, mittels derer Menschen von Österreich nach Slowenien, von Slowenien nach Kroatien und von Kroatien nach Bosnien vertrieben werden. Bei einer Veranstaltung am 23.Juni mit der Bezeichnung Asyl Tribunal am Judenplatz in Wien berichteten Flüchtlingshelferinnen aus Bosnien von Migranten, die ins Krankenhaus mussten, weil sie von der Grenzpolizei blutig geschlagen wurden. Es sind sehr unterschiedliche Formen der Gewalt gegen Migranten, von mörderischer Kriminalität über Polizeigewalt bis zu bürokratischer Willkür. Gut, wenn der Protest dagegen nicht aufhört.