Russlands langer Krieg gegen die Ukraine belastet die Solidarität

 Der Krieg um die Ukraine wird lange dauern, möglicherweise mehrere Jahre, befürchtet NATO-Generalsekretär Jens  Stoltenberg. Der britische Economist spricht von einem „long war“, dessen Auswirkungen verheerend sein werden. Russische Raketen auf Odessa, Kiew und Lemberg verunmöglichen jede Normalität. Europa, Afrika und damit die halbe Welt beginnen  zu realisieren, was der Krieg in Osteuropa für sie bedeutet.

 Die Vertreibung der russischen Marine von  der Schlangeninsel  vor Odessa, die für die Kontrolle des Schwarzen Meeres wichtig ist,  Ende Juni war für die Ukraine ein  Erfolg. Mit Raketen auf ein Freizeitzentrum und eine Wohnanlage  nahmen die russischen Militärs Rache. Sie  signalisieren zugleich, dass sie die Angriffspläne gegen die Hafenstadt Odessa keineswegs aufgegeben haben.  Präsident Selenskyj spricht von Staatsterrorismus. Angriffe auf zivile Ziele widersprechen dem Kriegsrecht. Militärische Befehle Shopping Malls und Wohnhäuser anzugreifen lassen sich nicht beweisen. Aber westliche Militärexperten gehen davon aus, dass Russland  die Zerstörung ziviler Ziele bewusst in Kauf nimmt,  um die Bevölkerung zu demoralisieren.

    Bei einem Krieg, der sich über Jahre zieht,  wird Europa  Fabriken schließen müssen und im Winter Heizungen herunterfahren. Ausbleibende Düngemittel und fehlendes Getreide gefährden  im globalen Südens die Versorgung. Je länger der Ukrainekrieg dauert, desto größer wird die Destabilisierung viele tausend Kilometer vom Kampfgeschehen entfernt.

 Die Konfrontation mit Russland beherrscht die Weltpolitik. Der G7-Gipfel im bayrischen Elmau war ein Kriegsrat des Westens gegen Putin. Es ging darum,  ein Auseinanderdriften der Verbündeten zu verhindern. Putin selbst gibt sich entspannt und reist ins nahe Ausland nach Turkmenistan. Gleichzeitig kündigt der Kreml  die Stationierung von Waffen in Belarus an, die mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden können.

Die düsteren Aussichten  haben neue Diskussionen in der Zivilgesellschaft zur Folge. In Deutschland fordern Prominente einen konzertierten Vorstoß um den Krieg durch Verhandlungen zu beenden. „Waffenstillstand jetzt!“ lautet die Forderung. Eine Diskussion um die Beziehungen zu Russland hat begonnen.  

   Voraussetzung ist ein nüchterner Blick auf die Realitäten.  Ohne westliche Militärhilfe seit dem Einmarsch in der Krim 2014 hätte Russland im letzten Frühjahr Kiew erobert. Die Ukraine wäre jetzt ein Marionettenstaat des Kreml. Der Blitzkrieg ist gescheitert. Aber viereinhalb Monate später sind die Angreifer dabei den Donbas zu erobern.  Die Gefahr besteht,  dass wesentliche Teile der ukrainischen Armee vernichtet werden.

   Nach Angaben aus Kiew fallen täglich 200 ukrainische Soldaten. Ein furchtbarer Blutzoll. Desertationen gibt es zunehmend auch bei den Ukrainern.   Die versprochenen schweren Waffen kommen viel zu langsam und in geringer Zahl an die Front. Es gibt zu wenig  Munition und es fehlt an Know How der Soldaten.  

  Die Ukraine  muss alles tun um nicht komplett in die Vernichtung zu schlittern, urteilen Militärexperten. Russland versucht die Verteidigungslinien zu durchbrechen, bis zum Fluss Dnjepr vorzustoßen und die Ukraine zu spalten. Aber auch Russland sei nur eingeschränkt offensivfähig. Russische Oppositionelle warnen, dass der Kreml einen neuerlicher Angriff auf Kiew wünscht.  Putin will die Ukraine als souveränen Staat zerstören. Dazu muss er die Hauptstadt kontrollieren.   

  Ob ein Waffenstillstand den Weg zum langen Krieg verhindern kann, ist fraglich. Die  militärischen Ausrüstung der Ukraine durch den Westen  ist das wichtigste Mittel, um die Aggression zu stoppen. Wenn Deutschland verlangen würde, dass Kiew den Verlust eines Fünftels seines Territoriums akzeptiert, wäre das ein  Schlag für die Moral der Verteidiger.

  Ein vernünftiges Verhältnis Europas zu Russland wird sich aus einem Waffenstillsand, der eine Niederlage der Ukraine festschreit, nicht ergeben. Eher wird es zu einer Todfeindschaft wie zwischen Nordkorea und Südkorea nach dem Ende des Koreakrieges kommen, der auch Jahre später von Überfällen, Terrorangriffen und atomarer Berohungen begleitet ist.

 Die Gegenperspektive zeichnet der britische Economist: die Ukraine kann  es durch Unterstützung aus dem Westen schaffen, die Front zu stabilisieren. Der Widerstandswille könnte sich als  stärker erweisen als die Demoralisierung durch den russischen Terror. Die Langzeitwirkung der Wirtschaftssanktionen, so die Hoffnung, wird es möglich machen,  dass der Machtblock im Kreml bröckelt und sich Russland von Putins faschistoidem Revanchismus löst. 

Der Preis, den die Völker in beiden Varianten des langen Krieges zahlen, ist hoch.

ZUSATZINFOS

  Zu zahlreichenzivilen Opfern ist es in den russischen Tschetschenienkriegen 1994 und 1999 gekommen. Die Hauptstadt Grozny wurde dem Erdboden gleich gemacht. Im syrischen Aleppo hat die russische Luftwaffen 2016 Spitäler und Marktplätze bombardiert. In der Shopping Mall der Stadt Krementschuk sind Ende Juni 2022 Dutzende Menschen  beim Einkaufen von Marschflugkörpern getötet worden. Russland sagt ein Waffenlager in der Nachbarschaft sei getroffen worden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*