Kollaps und Hoffnung in Sri Lanka

Sri Lankas Eliten präsentierten ihr Land gerne als Perle des Indischen Ozeans, mit phantastischen Stränden für die Touristen und buddhistischen Tempeln für die Gläubigen. So richtig gestimmt hat dieses Image nie. Meist vergaß man die Landarbeiter der tamilischen Volksgruppe auf den Teeplantagen. Aber das ehemalige Ceylon galt als Erfolgsgeschichte mit wachsender Mittelschicht. Jetzt hat die Kombination von Covid, Inflation und Schulden zum Kollaps geführt. Der despotische Präsident Gotabaya Rajapaksa wurde  in die Flucht getrieben,  die Herrschaft seines Clans ist bedroht.

 Der Internationale Währungsfonds warnt, dass die Implosion des Inselstaates der Vorbote für die Krisen der Zukunft sein könnte. Sri Lanka ist bankrott. Die Pandemie hält die Touristen fern. Die Schuldenkrise lähmt den Staat.  Es gibt kein Benzin mehr und Reis ist so teuer, dass viele  Familien  Mahlzeiten ausfallen lassen.

  Die Revolution gegen den inzwischen geflohenen Präsidenten  Gotabaya Rajapaksa hatte sich über 100 Tage aufgebaut. Gewerkschaften und Bürgerinitiativen aller Volksgruppen und Religionen schlossen sich zu einem Generalstreiks im Frühjahr  zusammen. Die  Landbevölkerung protestierte gegen das Importverbot für chemische Düngemittel, das die Regierung als Schritt zur biologischen Agrarwirtschaft präsentierte. In Wirklichkeit fehlten die Devisen um Importe zu bezahlen. Die Ernten der Bauern stürzten ab. Lebensmittel, Benzin und Medikamente verschwanden aus den Geschäften.

 Die Aragalaya-Protestbewegung  ist im ganzen Land vernetzt, Führungsstrukturen gibt es keine. Es ist eine Art Gelbwestenbewegung im Indischen Ozean. Politische Beobachter staunten über die Solidarität zwischen Singhalesen und Tamilen, Buddhisten und Hindus, Moslems und Christen bei den immer größer werdenden Demonstrationen gegen die Regierung. Bürgerkriege und Terroranschläge der vergangenen Jahrzehnte schienen vergessen. Am 9.Juli stürmten zehntausende aus dem ganzen Land angereiste Demonstranten den Präsidentenpalast. Junge Leute filmten sich im Pool des geflohenen Staatschefs, Familien probierten Sofas und Betten, in der Präsidentenküche wurde Reis gebraten.

  Die Handyvideos aus dem besetzten Präsidentenpalast der Hauptstadt Colombo lösten weltweit Assoziationen aus. Französische Kommentatoren schrieben von einem südasiatischen Sturm auf die Bastille wie in der Revolution von 1789.  In Indien, dem großen Nachbarland, betonte man den weitgehend friedlichen Charakter der Bewegung. In den USA war man an die kurzzeitige Besetzung des Kapitols durch Trump-Anhänger 2021 erinnert. Gesiegt hat die Volksrevolution noch lange nicht. Der neu gewählte Präsident Ranil Wickremesinghe ist ein Vertreter der Eliten. Er hat den Ausnahmezustand erklärt und setzt die Polizei gegen das Protestcamp vor dem Präsidentschaftspalast ein.

  Der Rajapaksa Clan, mit dem verjagten Präsidenten Gotabaya Rajapaksa an der Spitze, seinem mächtigen Bruder und zahlreichen Verwandten in Spitzenpositionen, dominiert die Politik seit Jahrzehnten. Man kann sich das despotische Brüderpaar als eine Mischung aus Putin und Orban auf südasiatisch vorstellen. Putin begann seine Karriere mit dem zweiten Tschetschenienkrieg. Rajapaksa bekriegte und besiegte als Verteidigungsminister die Tamil Tigers, damals die stärkste  Guerillaorganisation der Welt, mit weiblichen Selbstmordattentäterinnen, einer eigenen Luftwaffe und einem U-Boot. Bei der letzten Schlacht gegen die Tamil Tigers 2009 wurden 40 000 Tamilen von Rajapaksas rassistisch aufgepeitschten Soldaten massakriert.

  Die Singalesen, das Mehrheitsvolk unter den 22 Millionen, sind Buddhisten. Seit der Unabhängigkeit Ceylons 1948  betreibt die singalesische Oberschicht die Diskriminierung der Tamilen, die als Hindus im benachbarten Indien ihre Schutzmacht sehen.  In den 1970er-Jahren hatten sich große Teile der Jugend einer Aufstandsbewegung nach dem Vorbild Che Guevaras angeschlossen. Zeitweise saß eine trotzkistische Linkspartei in der Regierung. Das Land wollte Stabilität nach Jahrzehnten extremer Konfrontationen.

  Außenpolitisch setzten die Rajapaksas auf China, das  Häfen, Straßen und Flughäfen baute und großzügige Kredite vergab. Bis das Modell der hohen Verschuldung in der Zahlungsunfähigkeit Sri Lankas mündete. Eine chinesische Firma kontrolliert inzwischen den Hafen der Hauptstadt Colombo.

   Die Regierung schickt  jetzt Hilferufe an den Internationalen Währungsfonds. Liberale Kommentatoren hoffen, dass der Westen für Hilfsgelder an Sri Lanka den  Schutz demokratischer Freiheitsrechte verlangt, und nicht nur Sparprogramme. Die mutige Protestbewegung Aragalaya hätte solche Unterstützung verdient.    

ZUSATZINFORMATIONEN

Seit April 2022 kann Sri Lanka seine Schulden nicht mehr bezahlen. Die Inflation beträgt 80 Prozent.  Die Aragalaya (singhalesisch für „Kampf“) Protestbewegung verlangt Neuwahlen, soziale Reformen und ein Ende des Ausnahmezustandes für die 22 Millionen Bürger Sri Lankas.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*