US-Handelsabkommen TTIP – der Glaubenskrieg ums Chlorhuhn

Was in Handelsabkommen steht,  ist der Öffentlichkeit normalerweise herzlich egal.  Wo genau Kosmetika untersucht werden  und wie lange, ist eine Frage für Experten. Dass Autos in Europa zwingend orange blinken müssen, in den USA aber rot, bemerken nicht einmal  aufmerksame Reisende.

Aber dann gehen plötzlich Emotionen hoch.  Das Chlorbad gegen Salmonellen bei Hühnern entsetzt die Europäer.  Bei  Rohmilchkäsen wird den Amerikanern übel.  Kein europäischer Test hat irgendwelche Chlor-Nachteile bewiesen.  Der in den USA verpönte Roquefort  tut der Gesundheit der Franzosen  keinen Abbruch. Aber was aus der Fremde kommt, macht misstrauisch.

Unter Ökonomen tobt zum Freihandel der Glaubenskrieg. Eine Öffnung der Grenzen erhöht die Vielfalt, fördert den Fortschritt und  beschleunigt die  Arbeitsteilung, lautet die Lehrmeinung der  Befürworter. Verschärfte Konkurrenz zerstört gewachsene  Strukturen und hilft  potenten Ausländern,   warnen die Kritiker.

Üblicherweise argumentieren  in Handelsfragen die Stärkeren  internationalistisch,  die Schwächeren nationalistisch. Manchmal brauchen aufstrebende Wirtschaftszweige  tatsächlich Schutz vor übermächtiger  Konkurrenz. Aber öfters verteidigen  lokale Lobbys verkrustete Verhältnisse und eigene Monopolstellungen.

Problematisch wird es, wenn gegen Freihandel zwischen  annähernd gleich starken Wirtschaftsräumen  auf  beiden Seiten nationalistisch mobilisiert wird, wie jetzt in der Auseinandersetzung um das geplante Abkommen zwischen Europa und den USA.   Der  unter dem Kürzel  TTIP, Transatlentic Trade and Investment Partnership, bekannte geplante Deal  ist zum  Feindbild   von Globalisierungsgegnern, Grünen  und Rechtspopulisten geworden.

Verbraucherrechte, Demokratie und soziale Standards sollen  ausgehebelt werden, behaupten die  Kritiker. Dabei ist ein Urteil gar nicht möglich: die Verhandlungen laufen. Hunderttausende Unterschriften gegen ein Abkommen, das es noch  nicht gibt, belegen, wie viele Emotionen im Spiel sind.

Die Ausgangspositionen von Europäern und Amerikanern sind  im Internet nachzulesen. Nach jeder Verhandlungsrunde treten die Delegationsleiter  vor die Presse. Die Europäische Kommission informiert das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten. Über den realen Stand  ist trotzdem wenig bekannt. Das ist normal. Keine Gewerkschaft lädt zu Kollektivvertragsverhandlungen Journalisten mit an den Tisch. Kein Vertrag wird im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit geboren.  Bei der Vielzahl von Lobbyisten auf  beiden Seiten des Atlantiks hat nur ein fertiges Ergebnis eine Chance.

Brennendste Streitpunkte sind  die Investitionsschutzklauseln, die  im  europäisch-amerikanischen Vertrag verankert sein sollen. Sie gehören  zum Standard der internationalen Wirtschaftsverflechtung. Allein Österreich hat 62 derartige Verträge abgeschlossen, zumeist mit Dritt-Welt-Staaten, aber auch mit Ungarn, Slowenien und der Slowakei.

Unternehmen, die im Ausland investieren, können sich im Streitfall mit dem Gastland auch an internationale Schiedsgerichte wenden. Dieser Mechanismus schwächt  den Handlungsspielraum der Nationalstaaten.    Anlass für Klagen waren Verstaatlichungen in Lateinamerika, aber auch  Gewinnrückgänge auf Grund neuer Umweltregeln.  Der schwedische Konzern Vattenfall klagt vor einer Schlichtungsstelle in Washington  gegen den deutschen Atomausstieg, weil Vattenfall  zwei  Atomkraftwerke zusperren muss. Ein Urteil steht aus.

Kritiker sprechen von Missbrauch und geheimen Sondergerichten. Aber bei Investitionen in Milliardenhöhe wollen Konzerne sicher gehen, dass ein Gastland nicht die Voraussetzungen ändert. Den wirtschaftlichen  Verflechtungen in der globalisierten Welt steht  kein  internationaler Rechtsstaat gegenüber.

Die USA wollen Investitionsschutz  geregelt haben, weil sie im Abkommen mit der EU ein weltweites Modell sehen. Die Europäer haben zu diesem Punkt  eine Nachdenkpause  eingelegt. Das könnte eine  Chance sein,  um im Gegenzug von den USA  die Korrektur der größten  Fehlentwicklungen zu erreichen. Denn mit oder ohne TTIP wird es Schlichtungen bei internationalen Investitionen weiter geben. Auch  Multis  müssten klagbar sein, wenn sie soziale und Umweltversprechen brechen. Es sollten Berufungen möglich sein  und die  Öffentlichkeit darf  bei den internationalen Schiedsgerichten nicht mehr ausgeschlossen bleiben.

Die Aufregung um TTIP erhöht den Druck auf EU-Verhandlungsführer Karel de Gucht. Das kann zu einem besseren Ergebnis führen.  Bewahrheiten sich die Befürchtungen, dann werden Abgeordnete in Europa und Amerika das letzte Wort haben. Die Verhandlungen einfach abzubrechen, weil Amerika unbeliebt ist, mag ein politisch populärer Slogan sein. Einem Regelwerk für die globalisierte Welt  wird man dadurch nicht näher kommen.