Snowden, USA und Europa: ein neuer Fall nach altem Muster

  Der amerikanisch-russische Streit um Edward Snowden ist grotesk. Jahrzehnte haben die beiden Mächte einander  bespitzelt, unterminiert und bekriegt. Zehntausende Agenten waren im Kalten Krieg auf den jeweils Anderen angesetzt.  Es gab Bestechung, Verrat und Mord.

  Ernsthafte Auswirkungen auf die Weltpolitik haben Spionageskandale nie gehabt. Es herrschte fast das Gefühl eines ritterlichen Respekts für das Gegenüber, wenn ein besonderer Coup gelungen ist.  Man besiegelte den kalten Frieden mit einem Gefangenenaustausch. Zuletzt wurde Anna Chapman, die es als  sexy High Society-Agentin 2010 zum Medienstar brachte,  kurz nach ihrer Verhaftung in den USA ins Flugzeug nach Moskau gesetzt.

    Im Fall Snowden ist die Nervosität in Washington unvergleichlich größer. Er ist ein politisches Problem. Das amerikanische Justizministerium beschuldigt den jungen Techniker der Spionage. Grundlage ist ein Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg, das gegen Kontaktleute  für  deutsche U-Boote gedacht war, die Saboteure absetzen wollten. Aber die meisten Amerikaner sehen  in dem  Computerfreak  keinen Überläufer, sondern einen Aufdecker. Seine Informationen verkaufte er nicht an den Feind, er macht sie öffentlich. Das hält ein relevanter Teil der amerikanischen Öffentlichkeit  für  legitim.

 John Lewis, ein legendärer  Kongressabgeordneter, der noch mit Martin Luther King demonstrieren war, sieht Snowden in der Tradition der Einzelkämpfer für Gerechtigkeit und Demokratie in den USA. Wer seinem Gewissen folgt um Unrecht anzuprangern, kann auch gezwungen sein Gesetze zu verletzen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, sagt  John Lewis.

  Zu den unvermeidlichen Konsequenzen für Aufdecker gehören  Gerichtsverfahren wegen Geheimnisverrats. Häufig fallen die Urteile der Geschworenen sehr milde aus.  Dieser Weg steht Edward Snowden nicht mehr offen.    Dass er   in Putins Russland Zuflucht suchen muss, schadet der Glaubwürdigkeit der  USA mehr   als alle Daten, die er möglicherweise noch im Koffer hat.   

  Ebenfalls in der  Bredouille sind die Europäer. Die Empörung darüber, was die amerikanischen Verbündeten sich da  beim Abfangen von E-Mails und Handydaten  alles erlauben ist  kleinlauten Eingeständnissen gewichen, dass nichts davon wirklich neu ist. Gerade versucht die SPD aus der Bespitzelung einen Fall Merkel zu machen. Da stellt sich heraus, dass  Dokumente über die Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten nach dem 11.September über den Tisch des damaligen Schröder-Bürochefs Frank-Walter Steinmeier gegangen sind, dem heutigen sozialdemokratischen Fraktionschef.  Dass die Amerikaner für die britische Abhörzentrale GCGQ 100 Millionen Pfund auf den Tisch gelegt haben, wundert höchstens wegen der hohen Summe. Als verlängerter Arm der  USA gelten die britischen Geheimdienste seit einem halben Jahrhundert.

  Die Europäer gelten  in der Welt der Nachrichtendienste als Zuarbeiter der USA. Bei der Datenüberwachung, der Fachausdruck ist Sigint für Signal Intelligence,  sind die amerikanischen Dienste   Meilenweit voraus. Dass auch die Verbündeten selbst abgehört werden, wie  Aufdecker Snowden  berichtet, kann nicht wirklich verwundern.  Es vertrauen einander ja nicht einmal Inlands- und Auslandsgeheimdienst eines einzelnen Landes.

  Ob die Europäer mithalten sollten in der  Disziplin der elektronischen Nachrichtenbeschaffung, in der die USA so weit vorne sind? Darüber lässt sich streiten.  Aber zumindest  ihre  eigenen Kommunikationslinien sollten sie vor fremden Ohren  schützen. Das Datennetzwerk der EU sollte zum Beispiel ausreichend gesichert sein, damit weder die USA noch China, Russland oder Israel verfolgen können, wie der Meinungsbildungsprozess gerade läuft. Da könnten die Staats- und Regierungschefs ihren Diensten durchaus einen diskreten Auftrag geben.

  Edward Snowden hat die Weltöffentlichkeit erinnert, wozu große Geheimdienste in der Zeit von E-Mails, Iphones und Google im Stande sind. Ein  Blick auf die Realität des 21.Jahrhunderts.Man kann sich  eine Vorstellung machen, wie die Programme funktionieren, über die E-Mails abgefangen und Handy abgehört werden können.

  Aber  auch die Friedensbewegung des vergangenen Jahrhunderts wurde bespitzelt. Dem CIA hat man  Mord und Folter nachgewiesen. KGB und Stasi organisierten die Repression im sowjetischen Imperium. Dagegen ist das Speichern von Handydaten harmlos. Die größten Geheimdienste hatten nie mehr Macht als das System, dem sie dienten.  Letztlich sind sie Randerscheinungen der politischen Entwicklung.

   In den USA gab es immer den Gegensatz zwischen pluralistischer Gesellschaft und hypertrophem Sicherheitsapparat. Amerika ist heute nicht autoritärer als früher. Dass der Staat, wenn er will,  mithört, wusste man schon vor Edward Snowden.