Nein zu Grexit, 24.6.2015

Im Finale um Griechenland hat sich ein fataler Irrtum breitgemacht. Grexit, der Austritt des Landes aus Euroland, sei gar nicht so schlimm, behaupten  Politiker und Publizisten. Europas Finanzsystem sei stark genug, um den Abgang der unverlässlichen Kantonisten zu verkraften.  Die zu erwartenden verheerenden Folgen für das Land,  Bankenkrach, Chaos und Inflation,  könnten   einen heilsamen Schock auslösen, etwa in Spanien, wo die linksalternative Partei Podemos dem separatistischen Weg von Syriza folgen will, so lauten die Argumente.

Wer so denkt, unterschätzt die Dynamik eines beginnenden Zerfalls. Eine Währung   ist niemals nur  Zahlungsmittel. Die D-Mark stand für den Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Weltwährung Dollar ist das Fundament der imperialen Macht Amerikas. Der Euro war der wichtigste Schritt zu einem Vereinigten Europa, der seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gesetzt wurde. Die Europäer waren  stolz darauf, dass sie gelernt haben, Interessensgegensätze durch Verhandlungen zu lösen. Wenn sie sich als unfähig erweisen, mit dem kleinen Griechenland zu einem Kompromiss zu kommen, ist  das gesamte Modell der Entscheidungsfindung in der Union in Frage gestellt. Die Rückabwicklung der europäischen Integration stünde im Raum.

Alexis Tsipras und Finanzminister Varoufakis sind  linksalternative Nationalisten, denen die europäische Etikette fremd ist. Sie reiten  die Welle der Empörung der  Bürger über den wirtschaftlichen Absturz. Den haben die  eigenen Eliten allerdings noch mehr verursacht, als die europäischen Geldgeber. Wie die offensive Linie in Nordeuropa ankommt, ist ihnen herzlich egal. Dazu kommt das  Bündnis von Syriza mit der rechtspopulistischen  Partei der Unabhängigen Griechen von Verteidigungsminister  Kammenos. Tsipras schützt seine Regierung  vor Protesten vom rechten Rand.  Das  überhöhte Militärbudget will er aus Rücksicht auf die Koalition aber nicht antasten, wie  die EU-Kommission anregt.

Bei grenzüberschreitenden Disputen  versuchen Politiker in der EU   eine  Grenze nicht zu überschreiten, die beim Gegenüber nationalistische Gegenreaktionen auslösen.  Diese Zurückhaltung ist zwischen Deutschland und Griechenland   verschwunden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Bild-Zeitung führen eine  Kampagne gegen die  Linksregierung in Athen.  Syriza-Politiker replizieren mit der grotesken Behauptung  die Unterwerfung Griechenlands sei das Ziel der Geldgeber. In der selbstgerechten Empörung geht verloren, dass sich die  Forderungen der Gläubiger  aus den gemeinsam beschlossenen EU-Regeln ableiten.

Syriza ist in Frontstellung zum  Establishment groß geworden. Zwischen europäischen Christdemokraten und griechischen Linkspolitikern mit kommunistischen Wurzeln klaffen ideologische Welten. Dementsprechend groß ist das Unverständnis auf  beiden Seiten. Jean-Claude Juncker, der auf seine emotionale Verbindung zu Südeuropa pocht, ist  persönlich beleidigt, weil Tsipras in Griechenland sein eigenes politisches Spiel treibt, statt die Juncker’schen Versionen der Kompromisspapiere zu präsentieren.

Die wichtigere Frage ist: warum kann  die Europäische Kommission in Griechenland eigentlich nicht selbst für ihre Linie kämpfen? Warum bietet nicht bei jeder Brandrede des griechischen Regierungschefs im Parlament in Athen ein EU-Kommissar Paroli? Warum steht Angela Merkel als deutscher Kanzlerin im Deutschen Bundestag nicht ein Vertreter der EU-Regierung zur Seite, wenn sie die Hardliner in den eigenen Reihen in die Schranken weist?  Oder auch: warum wird eine für ganz Europa so wichtige Entscheidung in Parlamenten der Nationalstaaten getroffen, und nicht im Europäischen Parlament?

Die politischen Defizite der  Europäischen Integration wurden bisher durch die  Flexibilität der traditionellen  Regierungsparteien  ausgeglichen. Mit dem Aufstieg linker und rechter Populisten  geht dieses Modell zu Ende.  Die währungspolitischen Auswirkungen eines Austritts Griechenlands aus dem Euro könnte die Europäische Zentralbank   mildern. Politisch wäre eine  Scheidung  ein Desaster.  Die Rückkehr zu nationalen Währungen erschiene plötzlich wieder möglich. Grexit wird  die Renationalisierung  Europas  beschleunigen. Darauf hat die extreme Rechte nur gewartet.

Griechenland ist ökonomisch in der schwächeren Position,  hat aber eine politische Führung, die die Konfrontation mit dem Establishment nicht scheint.  Das war der Auftrag der Wähler.  Mit populistischen Regierungen von links und rechts wird die EU  noch öfters zu tun haben. Flexibilität gegenüber  Syriza wäre ein Zeichen der Stärke und eines zukunftsträchtigen  europäischen Selbstbewusstseins.

Giorgios Papandreou wollte vor Jahren das griechische Volk in einem Referendum über den Euro und die geplanten Reformschritte befragen.  Die Option steht auch Alexis Tsipras offen, wenn die Europäer ihm  den erforderlichen Spielraum geben.

 

Zu Recht erinnert der  Bremer Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner daran, dass die Geldgeber kein Problem haben, der Ukraine große Geldsummen zukommen zu lassen. Warum  sollte das nicht auch gegenüber den renitenten Griechen möglich sein?