Ein gutes Jahr vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist es unbestreitbar: Barack Obama wird keine Lame Duck.
Im Herbst 2014 mussten die Demokraten im Kongress schwere Verluste hinnehmen. Dem linken Präsidenten steht eine Mehrheit republikanischer Senatoren und Abgeordneter gegenüber. Weil die amerikanische Regierung ohne den Kongress kein Geld ausgeben darf, glaubten Viele an ein Ende des Reformgeistes in Washington DC.
Einige Monate später ist alles anders. Die amerikanischen Medien sprechen im Juni 2015 von den erfolgreichsten Tagen der Administration. Ausgerechnet der Supreme Court, den frühere republikanische Regierungen mit erzkonservativen Juristen besetzt haben, beschert Obama diesen Sommer innenpolitische Triumphe.
Die Höchstrichter geben zur allgemeinen Überraschung grünes Licht für die Schwulenehe, die von den christlichen Fundamentalisten so heftig bekämpft wird. Ganz Amerika staunt über die radikale Argumentationslinie, mit der für die Mehrheit des Gerichts Justice Anthony Kennedy das fundamentale Recht aller Menschen, egal welcher sexueller Orientierung, auf Ehe und Familie begründet. Obama hatte sich anfangs noch gegen die Homo-Ehe ausgesprochen. Als er umschwenkte, zog er alle Register: der erste schwarze Präsident verglich das Ringen um die Emanzipation von Schwulen und Lesben mit der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Der Supreme Court gibt ihm Recht. Es ist ein Urteil, das die christlichen Fundamentalisten Amerikas aus der Balance bringt.
Innenpolitisch noch sensibler ist der Segen der Richter für Obamacare, die Gesundheitsreform, die im Politspeak mit dem Namen des Präsidenten verbunden ist. Weil alle Versuche gescheitert waren, das längst beschlossene Gesetzeswerk im Kongress rückgängig zu machen, hatten die Fundis ihre Hoffnungen auf die Justiz gesetzt. Aber das von den Rechten ersehnte Veto blieb aus. Obama ist gelungen, woran Bill Clinton und andere Präsidenten gescheitert sind: Millionen Bürgern ohne Krankenversicherung wird der Zugang zum Gesundheitssystem ermöglicht.
In einer Zeit, in der Europa glaubt, dass kostspielige Sozialgesetze für Stagnation und Krise verantwortlich sind, baut das kapitalistische Amerika den Wohlfahrtsstaat aus.
Außenpolitisch hat Obama den Rückzug von der militaristischen Strategie der Ära Bush zu managen, ohne Amerikas Stellung als Weltmacht Nummer eins zu gefährden. Nach einem Bericht des Wall Street Journal einigten sich die Chefdiplomaten des Weißen Hauses nach einer Brain-Storming-Sitzung mit dem Präsidenten zur Reorientierung der US-Außenpolitik auf vier Prioritäten: den Atomdeal mit dem Iran, diplomatische Beziehungen mit Kuba, die Klimapolitik und ein Freihandelsabkommen mit den asiatischen Verbündeten.
Amerika muss mit schweren Rückschlägen im Nahen Osten kämpfen. Ob es gelingen wird, dem Revanchismus Vladimir Putins Paroli zu bieten, ist unklar. Mit China braut sich ein Kräftemessen im pazifischen Raum zusammen. Aber es ist erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit die Administration Ballast aus der Vergangenheit abwirft.
Die Aufhebung der Wirtschaftsblockade gegen Kuba stößt im Kongress noch auf Widerstand. Dass sie kommen wird, ist sicher. Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Kuba Ende Juli signalisiert das Ende der Jahrzehnte langen Feindschaft.
Die Atomverhandlungen mit dem Iran stehen im Finale. Nach den Informationen des Wall Street Journals gab es vor den offiziellen Sitzungen zahlreiche Geheimkontakte in Oman, Genf und New York. Deadlines sind den USA weniger wichtig, als ein Abschluss.
Auch in der Klimapolitik ließ sich die Regierung von früheren Rückschlägen nicht beirren. Die Chancen für ein internationales Abkommen bei der Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 wachsen. Obama hat die Grundlagen bei einem Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Kalifornien gelegt. Erstmals akzeptiert China eine Obergrenze für das Wachstum seiner Treibhausgasemissionen.
Im Disput um den Freihandel mit Asien schaffte der Präsident sogar eine Allianz mit den Republikanern. Gegen den Willen großer Teile der eigenen Partei gab der Kongress ihm die geforderte Verhandlungsvollmacht.
Obama steht für die Fähigkeit Amerikas zur Selbstkorrektur. Bei der Trauerfeier für die Opfer des rassistischen Mordanschlages in Charleston stellt er in einer aufwühlenden Rede das historische Ringen um eine Überwindung der Rassendiskriminierung ins Zentrum. Immer wieder gelingt es den USA nach den schlimmsten Fehlentwicklungen aus Sackgassen heraus zu kommen. Kein Wunder, dass die Europäer dieser Tage neidisch über den Atlantik schielen.
Nicht getrübt wurde Obamas gute Woche durch eine schlechte Nachricht: der schwächste Teil der Union, Puerto Rico, ist bankrott. Die offizielle Zahlungsunfähigkeit kann jeden Tag passieren. Allerdings steht weder eine Aufgabe des Dollar noch ein Aufschwung des Separatismus auf der Tagesordnung der Karibikinsel.