Geert Wilders ante portas

  Diese Woche sollte Europa nach Den Haag schauen. Die Niederlande sind das Kalifornien Europas.  Flexibel und wendig, bereit zu Experimenten und immer ein bisschen verrückt. Aber am Zug der Zeit. In Amsterdam hatten Ausläufer der  Provos  in der Jugendrevolte der 1960er-Jahre der Polizei Straßenschlachten geliefert, während Blumenkinder Make love not war predigten. Jetzt ist der exzentrische Rechtsextremist Geert Wilders starker Mann einer zukünftigen Rechtsregierung in Den Haag.

Im niederländischen Parlament wird am morgigen Mittwoch das Regierungsprogramm der Vierparteienkoalition von Wilders Freiheitspartei PVV, Rechtsliberalen, Reformpartei und Bauernpartei diskutiert. Die wenig aufbauende Debatte im Vorfeld ist, ob es sich um eine rechtsextreme Regierung handelt, wie die niederländischen Grünen sagen, oder ob die Bezeichnung  rechtsradikal richtiger. Auf einen neuen Regierungschef von Wilders Gnaden haben sich die Koalitionäre bei Redaktionsschluss für dieses Maily auch noch nicht geeinigt.  

 Wilders ist als Hassprediger gegen den Islam groß geworden. Alle paar Jahre kündigte er Koranverbrennungen an, die ihm Schlagzeilen und Todesdrohungen brachten. Eigentlich beanspruchte er  als Wahlsieger 2023  das Amt des Regierungschefs. Aber Wilders Koalitionspartner wollten dieses Risiko nicht eingehen. Herausgekommen ist eine merkwürdige Konstruktion, bei der die politischen Chefs dem Kabinett und dem noch zu findenden Premierminister aus dem Parlament ihre Anweisungen geben sollen.

  Eine scharfe Antimigrationspolitik gilt als die wichtigste Neuheit des Koalitionsvertrages. Wilders hat sein großes Ziel, den Verbot des Islam, in den Eisschrank gelegt, wie er sagt. Die Sympathien für Putin stellt er in den Hintergrund. Die Niederlande sind die fünftgrößte Volkswirtschaft Europas und ein wichtiger Player in der EU. In Den Haag werden zukünftig Geistesverwandte von  Italiens Giorgia Meloni und Ungarns Viktor Orban an der Macht sein.

 Empört reagiert die liberale Partei Macrons in Frankreich auf den Rechtsschwenk der niederländischen Schwesterpartei. Es könnte zu einer Spaltung der liberalen Fraktion im Europaparlament kommen, zu der auch die österreichischen NEOS gehören. Die liberale Volkspartei VVD hat unter ihrer kurdisch stämmigen neuen Vorsitzenden Dilem Yesilgöz  eine Koalition mit den Sozialdemokraten unter Frans Timmermans nie in Betracht gezogen. In Paris blickt man besorgt auf die eigenen nächsten Präsidentschaftswahlen. Marine Le Pen könnte 2027 französische Präsidentin werden. Um die Dystopie fortzusetzen sitzt dann vielleicht Donald Trump  im Weißen Haus. Unmöglich ist das nicht.

  Wie wird eine Vier-Parteien-Regierung unter Geert Wilder in der Praxis vorgehen? Caroline de Gruyter, langjährige Korrespondentin des liberalen NRC-Handelsblatt, ist vorsichtig. Im Koalitionspakt werden Opt Outs für die EU-Asylpolitik verlangt, wie das klappen soll ist unklar. In Italien hatte Giorgia Meloni im Wahlkampf verlangt, dass Flüchtlingsboote gestoppt werden. Jetzt ist sie Regierungschefin und es kommen mehr Boote an als zuvor. Sie braucht den Norden und gibt sich in Brüssel konstruktiv. Geert Wilders hat den Nexit, den Austritt aus der EU, abgesagt. Seine früheren prorussischen Positionen hat er zugunsten eines Bekenntnisses für die Ukraine im transatlantischen Sinn geändert. Wichtige Konzessionen, deren Bedeutung sich  erst in der Praxis der neuen Regierung erweisen wird, urteilt Caroline de Gruyter.

  In Zukunft werden EU-Gipfel auf jeden Fall mühsamer als bisher ablaufen. Wenn Mark Rutte für die Niederlande eine Position vertreten hat, dann wussten alle, das hält. Nicht von ungefähr wird der Langzeitpremier demnächst als NATO-Generalsekretär nach Brüssel übersiedeln. Der neue niederländische Regierungschef, wer auch immer das sein wird, wird dagegen bei jedem kleinsten Detail seine vier Parteichefs in Den Haag fragen müssen.

 Vor den Europawahlen 2024 bietet die Union ein Bild der Konfusion an vielen Ecken und Enden und ohne klare Führung. Caroline de Gruyter vergleich die EU in einem Buch unter dem Titel „Das Habsburgerreich-Inspiration für Europa?“ mit dem Vielvölkerstaat der Habsburger.  Den nationalistischen Fieberschüben stand ein schwaches  Parlament  und ein alterndes Kaiserhaus entgegen. Die Parallelen will de Gruyter nicht als Untergangsszenario verstanden wissen. Bis zum Krieg nach 1914 wollten die Nationalisten die Monarchie verändern, aber nicht verlassen, analysiert die niederländische Autorin.

 Die heutigen Nationalisten werden  in der EU bleiben wollen, solange bei den Bürgern das Gefühl vorherrscht, dass sie  von Europa profitieren. Das Habsburgerreich sei am Krieg zu Grunde gegangen, viel mehr als an den Nationalitätenkonflikten, so de Gruyter.

 Der russische Ukrainekrieg wäre für Europa danach gefährlicher als die Mitgliedsstaaten unter rechtsradikalem Einfluss. Allerdings: nicht überall sind die transatlantischen Traditionen so stark wie in den Niederlanden.   Die Solidarität mit dem Überlebenskampf der Ukrainer und die Verteidigung des Vereinten Europas werden in Zukunft immer weniger zu trennen sein.  

ZUSATZINFORMATIONEN

Bunte Parteienlandschaft der Niederlande

Geert Wilders ist das einzige Parteimitglied seiner Freiheitspartei PVV. Mit 25 Prozent der Stimmen kam er auf 37 der 150 Parlamentsmandaten. Die Viererkoalition von Rechtsliberalen der VVD, Bauernpartei und der sozialkonservativen NSC kommt insgesamt auf 88 Sitze. Die grün-sozialdemokratische Liste GroenLinks-PvdA mit Frans Timmermans hat 25 Mandate. Linke und die linksliberale D66 hatten Sitze verloren.