Geben wir Putins Syrienplänen eine Chance

Jahrelang hat Russland den syrischen Diktator Assad diskret bewaffnet. Parallel hat Moskau im UNO-Sicherheitsrat lautstark ein internationales Vorgehen im Syrienkonflikt blockiert. Seit einigen Wochen ist es umgekehrt: Russische Soldaten errichten im syrischen Latakia einen Luftwaffenstützpunkt. Die Arbeiten sind für westliche Spionagesatteliten deutlich erkennbar. Außenminister Lawrow propagiert die Aufrüstung des syrischen Regimes als effizienten Weg gegen die Dschihadisten des Islamischen Staates. Gleichzeitig suchen Russlands Diplomaten in New York nach Wegen, die internationalen Vermittlungsbemühungen wieder in Gang zu bringen.
Hinter dem russischen Vorstoß steht ein doppeltes Scheitern. Unerschütterlich hat Vladimir Putin in den vier Jahren des syrischen Bürgerkrieges an Bachar al- Assad festgehalten. Syrien ist Russlands wichtigster Verbündeter in der arabischen Welt. Russlands Marine unterhält im Hafen von Tartus den einzigen Stützpunkt im Mittelmeer. Hinter dem arabischen Frühling stand aus Moskauer Sicht eine westliche Verschwörung. Doch Assad ist dabei den Krieg zu verlieren. Das syrische Regime kontrolliert nur mehr einen kleinen Teil des Territoriums. Den Streitkräften gehen die Soldaten aus. ISIS rückt bis in die Vororte von Damaskus vor.
Russland und der Iran, die wichtigsten Unterstützer Assads, schicken Waffen, Berater und wohl auch kämpfende Truppen, um einen Zusammenbruch des Regimes zu verhindern.
Aber auch der Westen ist in Syrien schrecklich gescheitert. Stürzt Assad, den höchstens seine alawitischen Glaubensbrüder noch unterstützen, wird ein Marsch der Dschihadisten auf Damaskus beginnen. Niemand kann das Horrorszenario ausschließen, dass ISIS die syrische Hauptstadt bedroht.
Im Irak haben die Regierungstruppen es weder geschafft das nördliche Mossul zurück zu erobern, noch Ramadi, die nur 100 Kilometer von Bagdad entfernte wichtige Provinzhauptstadt. In Syrien geht der Vormarsch der Dschihadisten unverändert weiter. Trotz der täglichen Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten. Die Sprengung der historischen Tempelanlagen von Palmyra unterstreicht das militärische Debakel.
Flüchtlingstreks sind eine direkte Folge, wenn Staaten in Krieg und Bürgerkrieg zerrissen werden. Auch der Zerfall des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg und der Untergang des alten Jugoslawiens Ende des letzten Jahrhunderts haben Millionen vertrieben. Die Menschen, die sich aus Damaskus oder Aleppo gegen alle Hürden nach Europa aufmachen, darunter auch viele Angehörige der gebildeten Mittelschicht, haben jede Hoffnung auf eine Rückkehr in ihr altes Leben verloren.
Aber nach den Jahren der Zerstörung muss im Kriegsgebiet ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Russlands verstärktes Engagement in Syrien verdient eine ernsthafte Prüfung. Die brutale Frage für den Westen lautet: Ist eine objektive Allianz mit dem Assad-Regime gerechtfertigt, um die Terroristen vom Islamischen Staat zu besiegen? Kann ein Regime, das Fassbomben auf Frauen und Kinder werfen lässt, geschont werden, um den Dschihadisten Einhalt zu gebieten?
Ein Pakt mit dem Teufel ist in der internationalen Politik nichts Neues. Gegen Nazideutschland haben sich die westlichen Demokratien mit Stalin alliiert. Ein vergleichbares Bündnis mit Assad wird es nie geben. Aber Putin verlangt von Europäern und Amerikanern, dass sie Moskau und Teheran gewähren lassen, wenn die beiden verbündeten Staaten das syrische Regime vor der Niederlage bewahren.
Wahrscheinlich wird der russische Präsident in Syrien seinen Willen bekommen. Eine Internationalisierung, bei der die Großmächte an einem Strang ziehen, ist langfristig die einzige Möglichkeit neue Grenzen zu ziehen und das Morden zu beenden. Im Kampf gegen ISIS koordinieren sich die USA mit den kurdischen Einheiten im Norden, trotz der Feindschaft der kurdischen PKK mit dem NATO-Mitglied Türkei. Absprachen mit dem russischen Militär im Nahen Osten sollten möglich sein, ungeachtet der Gegensätze in der Ukraine. Für Kontakte mit dem Iran können die USA auf die Erfahrungen bei den Wiener Atomverhandlungen zurückgreifen. Ist der Einfluss Russlands auf  Restsyrien einmal abgesichert, könnte Moskau auch veranlasst sein, eine großzügige Geste zu setzen: Asyl in Russland  für den Assad-Klan, im Gegenzug für die  Akzeptanz einer weniger belasteten Persönlichkeit aus dem Lager der Alawiten.
Die Lage ist zu düster, um nicht auch Putins Syrienplan eine Chance zu geben.