Zurecht blickt die halbe Welt nervös auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen am 3.November. Die Frage wird nicht sein, ob Amerika ein bisschen konservativer oder ein bisschen liberaler wird, wie das alle vier Jahre sonst der Fall ist. Trumpismus ist der Faschismus unserer Zeit. Die Republikanische Partei ist ein Vehikel zum Umbau Amerikas in Richtung eines autoritären Politsystems zugunsten eines besonders korrupten Teils der Eliten geworden, von dem unsere ungarische Nachbarn als „illiberale Demokratie“ bereits einen Vorgeschmack haben. Fremdenhass und Nationalismus sind in beiden Fällen die ideologischen Pfeiler, die dem Projekt seine Massenbasis verschafft. Setzt sich Trump für eine zweite Amtszeit in den USA durch, wird der Trumpismus überall in der Welt stärker werden. Scheitert Trump und gewinnt am 3.November Joe Biden, kann der Ansturm auf die liberale Demokratie um vieles leichter gestoppt werden.
Bei aller berechtigten Sorge vor falschen Umfragen: nach allen Daten, die wir haben, sind die Chancen für Joe Biden intakt. Die acht Prozent Vorsprung für den Demokraten in den bundesweiten Umfragen sind seit Monaten stabil. Viel wichtiger: in entscheidenden Battle Ground States, die Trump vor vier Jahren gewonnen hat, gibt es jetzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen (Florida, Arizona, North Carolina) oder Biden liegt leicht voran (Michigan, Wisconsin, Pennsylvania, Ohio). Eine Erklärung: Biden kommt bei der weißen Arbeiterschaft besser an, als Hillary Clinton vor vier Jahren.
Trump weiß, dass er aufholen muss. Der Rückstand erklärt seine wüste Performance beim ersten TV-Duell vorgestern Nacht. Mit seinem aggressiven Auftritt wollte er das Rad herumwerfen. Allerdings: die Schimpforgien, mit denen er Biden aus der Fassung bringen wollte, gefallen vielleicht einem harten Kern seiner Fans. Wechselwähler aus den Suburbs, die die Republikaner dringend brauchen, werden nach diesem Abend eher abgeschreckt als motiviert sein. Anders als Hillary Clinton gilt Joe Biden den Durchschnittsbürgern als sympathischer Politiker. Er hat vorgestern Nacht zurück geschimpft („clown“, „liar“, „rassist“), aber die staatsmännische Pose nie aufgegeben.
Das TV-Duell wird inzwischen als Schande und Desaster bezeichnet. Nachzuhören zum Beispiel im Podcast The Daily der New York Times (https://www.listennotes.com/podcasts/the-daily/chaos-and-contempt-the-first-bZMY6e7DiJv/). Ich bin nicht sicher, ob da Urteil nicht zu kurz greift. Das Desaster für die Demokratie ist der Trumpismus selbst. Die chaotische Fernsehdiskussion war eine Wiederspiegelung der amerikanischen Realität. Ein verantwortungsloser Raufbold als Amtsinhaber gegen einen etwas müde wirkenden Vertreter des linksliberalen Establishments. TV-Moderator Chris Wallace, das liberale Gesicht im rechten Sender Fox News, hat mit seinen Fragen und Einwürfen gezeigt, dass sich unabhängiger Journalismus in dem bewusst geschaffenen Chaos nicht unterkriegen lassen muss.
Dass Trump den Medien, darunter zunehmend auch Fox News, Fake News vorwirft, ist logisch. Ohne die starken Medien, die in den USA gerne zur vierten Gewalt hochstilisiert werden, gäbe es den Selbstkorrekturmechanismus nicht, der zum amerikanischen System gehört. Automatisch ist natürlich gar nichts. Der nervöse Blick auf den amerikanischen 3.November und was danach passieren wird, wird nicht so rasch verschwinden, vermutet Ihr
Raimund Löw
AUS DER WELT
Keine Antwort bekam Moderator Chris Wallace von Donald Trump auf die Frage, ob er in Ruhe auf das Ergebnis warten wird, auch wenn es Tage oder Wochen dauert, bis die Briefwahlkarten ausgezählt sind. Die Gefahr, dass die USA bei einem knappen Wahlausgang im Chaos versinken, wird inzwischen aus allen Blickwinkeln diskutiert. Die große Analyse, was die Republikaner im Interregnum zwischen Wahltag und dem 20.Jänner, an dem der alte Präsident abtreten oder neu gewählt wieder antreten muss, für Möglichkeiten haben, bietet der Journalist Barton Gellman im Magazin The Atlantic. „The Election that Could Break America“ https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2020/11/what-if-trump-refuses-concede/616424/
ist eine realitätsnahe politische Horrorstory und ein Lehrstück zur amerikanischen Verfassung.