Die Studentenbewegung in Thailand kann Südostasien den Weg weisen

In Europa blicken wir zunehmend nervös auf Weißrussland, wo sich die Protestbewegung gegen Diktator Lukaschenko durch die Repression nicht entmutigen lässt. Die Stärke des Regimes ist die Achse zum Kreml. Putin schickt russisches Militär zum gemeinsamen Manöver. Das muss nicht zwingend so bleiben. Auch im russischen Einflussbereich können Demokratisierungsschritte gelingen. Als vor zwei Jahren in der „Samtenen Revolution“ Armeniens Zehntausende gegen eine korrupte Machtclique rebellierten, akzeptierte Putin den Machtwechsel. Oppositionsführer Nikol Paschinjan wechselte aus der Gefängniszelle an die Regierungsspitze und gewann die freien Wahlen. Armenien bleibt mit Russland verbündet, aber die Menschenrechtssituation hat sich deutlich verbessert.
Für Asien sind Hongkong und Thailand die Brennpunkte der Auseinandersetzung um demokratische Freiheiten.
Die chinesische Führung will Hongkong „normalisieren“, wie 1968 der zynischen Begriff der Machthaber für die Niederschlagung des Prager Frühlings lautete. Peking will nicht militärisch eingreifen. Es sind die Hongkonger Behörden, angeleitet von dem mächtigen Verbindungsbüro der Zentralregierung, die Schritt für Schritt gegen die Opposition vorgehen. Die für diesen Herbst fälligen Wahlen des Lokalparlaments wurden verschoben, Covid 19 machte es möglich. Vor laufenden Kamera stürmte die Polizei die Redaktion des rebellischen Massenblattes Apple Daily und verhaftete Medienmogul Jimmy Lai. Joshua Wong, der international bekannte 23-Jährige Sprecher der „Regenschirm“-Revolution von 2014, kommt kurzfristig in Haft. Welcher Spielraum für Hongkong bestehen bleibt, wird vom Kalkül der Pekinger Führung abhängen.
In Thailand zeigt die Entwicklung in eine andere Richtung. Seit Wochen fordern in Bangkok Studenten den Rücktritt des Regierungschefs, eine demokratische Verfassung und eine Reform des Königshauses. In dem beliebten Urlaubsland herrscht Ausnahmezustand. Ministerpräsident General Prayuth kam vor sechs Jahren als Putschist an die Macht. Als junge Aktivistinnen den riesigen Platz vor dem alten Königspalast besetzten, gab es düstere Drohungen. „Nieder mit dem Feudalismus“ stand auf den Transparenten. Aber die Regierung lässt die Bewegung gewähren. Demonstrationsverbot soll es keines geben, beruhigt die Regierung. Die kühne Mobilisierung hat das politische Klima in Thailand verändert.
Die studierende Jugend Thailands fordert die Trennung des königlichen Privatvermögens von den öffentlichen Finanzen. Auf den ersten Blick klingt das nicht besonders radikal. Aber die Demonstranten rütteln an der Stellung des Königs und das gilt als unerhört. Majestätsbeleidigung wurde in Thailand bisher mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet, und der Verdacht lässt sich leicht konstruieren. Bekannt ist der Fall eines Bloggers, der vor Gericht kam, weil er sich abschätzig über den Lieblingshund des Königs äußerte.
Mit einem Vermögen von 40 Milliarden Dollar ist König Maha Vajiralongkorn der reichste Monarch der Welt, reicher sogar als die britische Queen. Sein Vater, König Bhumibol, nahm im öffentlichen Leben die Stellung einer Gottheit ein. Hinter den exotischen Bildern der höchsten Würdenträgern, die sich auf dem Bauch liegend an den Königsthron heranrobben, steckt eine historische Erfahrung. In extremen Krisensituationen, wenn Bürgerkrieg drohte, ermöglichte ein scheinbar über den Streitparteien stehender Monarch die Rettung des Systems. Die Jugend Thailands stellt diesen Mechanismus mit ihrer Kritik am König in Frage.
König Vajiralonkorn bietet unzählige Angriffsflächen. Die meiste Zeit hält sich der Monarch in Bayern am Starnberger See auf und ist außer Landes. Die Eskapaden des 68-jährigen füllen die Klatschspalten der Weltpresse. Seinen Pudel erhob er einst in den Marshallrang. Vor einem Jahr verstieß der König seine Geliebte, die in aller Form zur royalen Zweitfrau erhoben worden war. Seit zwei Wochen ist die 35-jährige ehemalige Krankenschwester wieder rehabilitiert. Der Hofes vermeldet, dass sie ihre offiziellen Titel und militärischen Ränge zurück erhält. Als Symbol staatlicher Würde ist dieser Monarch ungeeignet. Die Demonstranten verspotten den skurrilen König mit nachgemachten Tätowierungen und der Parodie auf das Hofzeremoniell.
Das konservative Establishment in Thailand setzt sich aus der Generalität, den Wirtschaftseliten und den buddhistischen Klöster zusammen. Über das Gleichgewicht wacht das Königshaus. Fällt der König aus, wie das jetzt der Fall ist, kommt das System in eine Schieflage, von der die studentische Jugend profitiert. Wenn in Thailand, dem wirtschaftlich stärksten Land Südostasiens, eine politische Öffnung gelingt, wäre das ein Zeichen gegen die autoritären Trends der Region.

ZUSATZTEXT
Die Studentinnen und Studenten, die in Bangkok seit Wochen rebellieren, kommen aus der städtischen Mittelschicht. Ihr Symbol ist das Drei-Finger-Zeichen aus einer Science-Fiction-Serie namens „Die Tribute von Panem“. Die Forderung nach freien Wahlen, einer demokratischen Verfassung und einer Entmachtung des Königs würde Thailand verändern.

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