Endlich Bewegung in Ungarn

Wer dieser Tage mit Freunden aus Ungarn spricht, staunt. Erstmals seit Langem sind sie zuversichtlich, dass es gelingen könnte, Viktor Orbán loszuwerden. Orbán ist seit 12 Jahren an der Macht. Mit Diskriminierung von Homosexuellen, der antisemitisch unterlegten Verteufelung des US-Philanthropen George Soros und Propaganda gegen die Europäische Union vergiftet seine Fidesz-Partei das politische Klima in unserem Nachbarland. Bei den bevorstehenden Parlamentswahlen im April 2022 werden sechs Oppositionsparteien gemeinsam antreten und sie könnten die Wahlen gewinnen.

Für den Nationalfeiertag, an dem der Revolution von 1956 gedacht wurde, hat die Regierung am letzten Samstag in Budapest noch eine Machtdemonstration hinbekommen. Orbán schwört seine Anhänger auf einen Endkampf ein, urteilt der Chef der unabhängigen Online-Zeitung Márton Gergely. Für die Opposition waren zuvor die Vorwahlen der große Schritt zum Wechsel bei den Parlamentswahlen im kommenden April.

Die ideologische Spannbreite der Anti-Orbán-Allianz ist ungewöhnlich weit und reicht von Sozialisten, Liberalen und Grünen bis zur ehemals rechtsradikalen Jobbik-Partei. Der Zusammenschluss bringt einen Motivationsschub für die Opposition.

Ungarn-Korrespondent Gregor Mayer beschreibt eine richtiggehende Aufbruchstimmung rund um die Vorwahlen, in denen das Oppositionsbündnis die Wahllisten zusammengesetzt hat. Als Wahllokale wurden im ganze Land Zelte aufgestellt, ein Zehntel der Bevölkerung nahm teil. Die ungarische Medienlandschaft wird zu einem großen Teil von Orbán kontrolliert, aber nicht vollständig. In den unabhängigen Online-Portalen gab es Konfrontationen der Spitzenkandidaten, wie sie das Land lange nicht mehr erlebt hat.

Zum Spitzenkandidaten gegen Orbán wurde der aufmüpfige Bürgermeister der südungarischen Kleinstadt Hódmezövásárhely, Péter Márki-Zay, gewählt, ein konservativer Demokrat und bekennender Katholik. Márki-Zay plädiert für strengere Anti-Korruptionsmaßnahmen der Europäischen Union. Die Vereinte Liste möchte, dass Ungarn den Euro übernimmt. Ein Kontrast zu Orbán, der mit den Regierungen in Polen, Slowenien und rechtsextremen Parteien im Europaparlament den Vorrang der Nationen propagiert.

Péter Márti-Zay ist unberechenbar und ein für alle unbequemer Anti-Establishment Kandidat, sagt Márton Gergely. Auf die Anti-Schwulen-Propaganda der Regierung repliziert er mit dem launigen Sager, dass die meisten Schwulen bei Fidesz zu finden sind. Er, Márti-Zay, werde sie alle vor den homophoben Gesetzen der Regierung schützen. Genauso wie den schwulen Sohn Viktor Orbáns selbst. Die Aussage ist monströs, sie beruht auf einem unbelegten Gerücht. Üblicherweise geht nur Fidesz in solcher Weise unter die Gürtellinie. Genau deshalb wirkt Márki-Zays Spruch, so Márton Gergely.

Orbán simuliert nationale Einheit, alle Gegner werden zu Feinden der Nation gemacht, analysiert der Schriftsteller und Historiker György Dalos. Die Hasskultur ist für ihn der Kitt, der alles zusammenhält. Dazu braucht er die ständige Konfrontation mit der EU. Orbán will mindestens noch zehn Jahre an der Macht bleiben, aber ihren Höhepunkt hat seine Ära hinter sich.

Márton Gergely zitiert einen Think Tank, der schätzt, dass Orbáns Chancen auf einen Wahlsieg nächstes Jahr von 65 auf 50 Prozent abgestürzt sind. Dagegen sind die Chancen der Opposition von 20 auf 40 Prozent gestiegen.

Einige Meinungsumfragen sehen sogar einen Gleichstand von 50:50. Es wird auf jeden Fall knapp.

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