Nach zwei Monaten Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten gegen die sunnitischen Dschihadisten des IS lautet die bittere Erkenntnis: die Fundamentalistenmiliz in Syrien und im Irak ist weiter im Vormarsch.
Zwar ist es den Peschmerga gelungen das irakische Kurdistan zu verteidigen. Die anfangs völlig überrumpelten Kurden arbeiten eng mit US-Spezialkommandos zusammen, die Angriffsziele für die Air Force vorbereiten. Aber nichts dergleichen passiert im Norden Syriens, wo der Belagerungsring um die Stadt Kobane immer enger wird. Die US-Luftwaffe fliegt zwar auch in Syriens Angriffe, eine Koordination der Luftschläge mit den syrischen Kurden, ähnlich wie mit den Peschmerga im Irak, ist für die USA jedoch undenkbar.
Die amerikanische Zurückhaltung hat mit der ungeheuer komplizierten Lage nach Jahren des syrischen Bürgerkrieges zusammen. Die Kurdischen Volksbefreiungseinheiten YPG sind eng mit der türkisch-kurdischen Untergrundorganisation PKK verbündet. Die PKK, deren gelben Fahnen mit dem Konterfeil des Parteigründers Abdullah Öcalan bei den Solidaritätsdemonstrationen mit Kobane allgegenwärtig sind, gilt in Ankara, Washington DC und Brüssel als Terrororganisation.
Während die sunnitischen Dschihadisten von IS im frontalen Krieg gegen Assad groß geworden sind, haben sich die mit der PKK verbündeten syrischen Kurden mit Assad arrangiert. Öcalan, der von einer türkischen Gefängnisinsel aus nach wie vor die Richtung der Partei bestimmt, verbrachte viele Jahre im Exil von Assads Gnaden in Damaskus.
So spaltet der verzweifelte Überlebenskampf von Kobane die islamische Öffentlichkeit. Die Verbündeten der offiziellen Anti-IS-Allianz, die von Jordanien und Saudi Arabien bis zu den Golfstaaten reicht, wünschen sich sehnlichst ein Ende des dschihadistischen Spektakels. Aus Sicht der türkischen Regierungspartei AKP sind dagegen beide Seiten schlicht Terroristen. Verstärkung für Kobane aus anderen kurdischen Enklaven lässt die türkische Armee nicht zu. Ein unabhängiges Kurdistan im Süden will sie verhindern.
Die Bitterkeit der Kurden über das drohende Massaker wenige hundert Meter von den türkischen Panzern entfernt, entlädt sich in Protesten quer über das Land. Aus seinem Gefängnis droht Öcalan mit einem Abbruch des stockenden Verhandlungsprozesses der PKK mit der Regierung, wenn die eingeschlossene Stadt ihrem Schicksal überlassen wird.
Kobane ist zum Symbol nicht nur für die Gefahr weiterer Massaker durch die Dschihadisten geworden, sondern auch zur Bruchlinie für die künftige Entwicklung zwischen der kurdischen Volksgruppe und der türkischen Regierung.
Dass die mit sunnitischen Stämmen verbündeten IS-Milizen im Irak gleichzeitig wieder gegen Bagdad vorrücken, verdüstert zusätzlich die Lage.
Als die Dschihadisten diesen Sommer große Teile des Nordiraks überrannten, waren arabische Regierungen wie Europäer heilfroh, dass die USA bereit sind, die Rolle des Weltpolizisten zu spielen. Ohne langes Zaudern schickten Briten und Franzosen, Belgier, Kanadier und Australier Kampfflugzeuge und Waffen. Sogar die gegenüber Auslandseinsätzen stets abgeneigten Deutschen beteiligen sich mit der Aufrüstung der Kurden im Irak. Österreich, Neutralität hin, Neutralität her, erklärt sich mit der Anti-IS-Allianz politisch solidarisch.
Aber mehr denn je sind die USA unter Barack Obama eine zögernde Supermacht. Die amerikanische Generalität lässt keinen Zweifel, dass IS allein durch Luftangriffe nicht besiegt werden kann. Eine Rückkehr amerikanischer Bodentruppen in den Irak schließt der Präsident jedoch aus. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass sich die Europäer zu einer Intervention in Syrien durchringen. Bleiben nur die schwächelnden irakischen Regierungsstreitkräfte, die Kurden und die Türkei, die aber völlig unterschiedliche Interessen verfolgen.
Dazu kommt: die Dschihadisten des IS sind Ausdruck einer politischen Radikalisierung, die auf die gesamte islamischen Welt ausstrahlt. Von Al Kaida ist IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi einst wegen seiner gezielten Grausamkeit gegenüber anderen Moslems verstoßen worden. Inzwischen hat al Baghdadi den Konkurrenten von Al Kaida einiges voraus: ein zusammenhängendes Territorium, beträchtliche Finanzmittel, die Waffen und die Kämpfer einer militärischen Organisation. Politisch handelt es sich um die extreme Variante eines sunnitischen Faschismus, der, wie man sieht, auch Jugendliche in Europa anspricht.
Die westlichen Militärs sprechen davon, dass der Krieg gegen IS mehrere Jahre dauern kann. Allianzen werden sich verschieben und neue Fronten entstehen. Durchaus möglich, dass zum Köpfen westlicher Geiseln auch Anschläge in europäischen Hauptstädten kommen werden. Eines ist sicher: je länger dieser chaotische Konflikt andauert, desto stärker wird auch Europa gefordert sein sicherheitspolitisch mehr zu bieten, als eine Handvoll Kampfflugzeuge.