Der Fall Assange: wie die USA einen Aufdecker zum Spion machen

Julian Assange ist der prominenteste politische Gefangene der westlichen Welt. Richter des High Court haben grünes Licht für die Auslieferung aus dem Gefängnis Belmarsh bei London in die USA gegeben. Die amerikanische Justiz beschuldigt den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks der Spionage. Wikileaks ist ein Meilenstein des investigativen Journalismus. Das US-Justizministerium folgt der Methode autoritärer Staaten unbequeme Stimmen durch die Beschuldigung mundtot zu machen, dass sie Staatsgeheimnisse verraten. Russland behandelt die Anhänger des  Antikorruptionsaktivisten Alexander Nawalny als ausländischen Agenten.  In China gehört der Spionagevorwurf gegen Regimekritiker zum Standard. Während US-Präsident Joe Biden die Demokratien zu einem Gipfel versammelt, demonstrieren die britischen Richter, dass in Fragen der nationalen Sicherheit auch der Westen autoritär agiert.

  Julian Assange ist 2012  in die Botschaft Ecuadors in London geflüchtet, das damals links regiert wurde. Er befand sich gegen Kaution auf freiem Fuß. Berechtigterweise befürchtete Assange, dass Vergewaltigungsvorwürfe in Schweden, derentwegen er gesucht wurde, zu einer Auslieferung in die USA führen könnten. Die Verfahren in Stockholm sind inzwischen alle eingestellt.

  Durch die Veröffentlichung von vertraulichen Emails aus amerikanischen Botschaften, dem sogenannten Cablegate, hatte er die Supermacht bloßgestellt. Dann kam der Irakkrieg. Wikileaks informierte über ein Kriegsverbrechens, als Helikopterpiloten in Bagdad Passanten töteten und sich dabei köstlich amüsierten. Das Video mit dem Titel Collateral Murder widerlegte die Behauptung, dass die USA  zivile Opfer vermeiden. Die US-Soldaten wurden nie belangt.  Die IT-Spezialistin des US-Militärs Chelsea Manning kam wegen Geheimnisverrats sieben Jahre ins Gefängnis. Julian Assange war zu keiner Geheimhaltung verpflichtet. Trotzdem drohen ihm  in den USA wegen Spionage mehrere Jahre Haft.

   Der juristische Leidensweg des  Aufdeckers ist kompliziert. Die Londoner Richter befürworten die Auslieferung des Australiers, weil die USA ein Rechtsstaat sind, in dem jeder ein faires Verfahren bekommt. Klar: amerikanische Gerichte urteilen nicht auf Knopfdruck von oben. Aber wenn die nationale Sicherheit im Spiel ist, bleibt von der Unabhängigkeit der Justiz wenig übrig.

    Im Online-Nachrichtendienst YahooNews erschien im September 2021 der Artikel des Starjournalisten Michael Isikoff, der bis heute Wellen schlägt. Isikoff berichtet von Plänen des Geheimdienstes, Assange aus der ecuadorianischen Botschaft zu entführen oder zu ermorden, die in der Trump-Regierung gewälzt wurden. Die Quellen von YahooNews kommen aus der CIA.  Die ecuadorianische Vertretung in London war längst verwanzt. Weil Wikileaks eine Spionage App namens „Vault 7“ veröffentlichte, behandelten die CIA-Chefs die Reporter wie einen gegnerischen Geheimdienst und sannen auf Rache, schreibt YahooNews. Die CIA hat eine lange Geschichte illegaler Aktivitäten gegen vermeintliche Feinde Amerikas.  Der Geheimdienst führt eine Vendetta gegen Julian Assange.

    UNO-Menschenrechtsbeauftragter Nils Melzer, ein Schweizer Jurist, nennt den Auslieferungsbescheid ein  politisches Urteil. Amnesty International spricht  von Verhöhnung der  Justiz. Reporter ohne Grenzen warnen vor einer  globale Bedrohung für den Journalismus. Zum ersten Mal wird ein Journalist wegen wahrheitsgemäßer Berichterstattung verfolgt, sagt Ben Wizner von der NGO American Civil Liberties Union. Stella Moris, Assanges Verteidigerin und die Mutter seiner Kinder, verlangt von der Biden-Administration die Beendigung  des Verfahrens. Völlig zu recht.

  Die angeblichen Straftaten fanden zu keinem Zeitpunkt auf amerikanischem Territorium statt. Droht investigativen Journalisten in der ganzen Welt jetzt eine ähnliche Verfolgung wie Assange? Nach dieser Logik könnte Peking dann gegen die Journalisten vorgehen, die geheime Dokumente über die Unterdrückung der Uiguren veröffentlichen.

  Zur Politik, die Julian Assange  zugeschrieben wird, zählt ein anarchistisch-libertäres Weltbild, anfängliche Sympathien für Donald Trump  und die Zusammenarbeit mit Russland. Für den Gerichtsfall spielt das keine Rolle. Genauso wenig wie die Frage, ob der Wikileaks-Gründer ein schwieriger Charakter ist. Seine Verlobte berichtet von einem leichten Schlaganfall vor ein paar Wochen.

   Beim Fall Assange geht es nicht um die Person des Aufdeckers, sondern um die Verteidigung der Pressefreiheit gegen die US-Justiz. Assanges Anwälte gehen in die Berufung. Die letzte Entscheidung über die Auslieferung wird bei der britischen Innenministerin Priti Patel liegen. Europas Regierungen sollten klar machen, dass alles andere als die Freilassung Assanges ein Desaster für die Menschenrechte wäre.

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