Das schlaue Spiel des Jean-Claude Juncker, 17.9.2014

 

 

Großbritannien, eine  Großmacht des alten Kontinents, steht  nach dem Unabhängigkeitsreferendum der Schotten möglicherweise  vor dem Zerfall. Wenn die Gegner einer Trennung vorne bleiben, folgt zumindest eine  tiefgreifende Staatsreform.

Die Folgen für Europa sind in jedem Fall explosiv: schon jetzt drängen katalonische Nationalisten  darauf, es den Schotten nachzutun. In der nächsten belgischen Regierung  werden die flämischen Separatisten die stärkste Partei sein. Für 2017 hat der britische Premier sein Referendum über Verbleib oder Austritt aus der EU versprochen.   Egal wie weit die Macht Londons dann reichen wird: die EU muss sich  neu erfinden, wenn der Zerfallsprozess der Staaten  nicht auch  die Union erfassen  soll.

Die nächsten Jahre werden politisch turbulent. Das  zeigt eine französische Umfrage, wonach Rechtsaußenpolitikern Marine Le Pen die  Präsidentschaftswahlen 2017  gewinnen könnte.  Es droht ein  Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation. Dazu kommen die  bösen Überraschungen, die der  revisionistische Nationalismus Russlands den Europäern noch bereiten könnte.

Wie die Europäische Union reagiert,  hängt primär von den  Mitgliedsstaaten ab. Aber  an der Spitze der nächsten Europäischen Kommission wird  Jean Claude Juncker kräftig mitmischen. Das steht seit letzter Woche fest. Juncker versteht die Kommission nicht als Verwaltungsapparat  für den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern als politische Regierung der EU. Als erfolgreicher Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei kann sich der Luxemburger auf die Wähler berufen.

Mit vier ehemaligen Regierungschefs im Team hat die neue Kommission die Möglichkeit prominent in die  europäische Zukunftsdebatte  einzugreifen.   Juncker-Vertraute wiederholen es mit Verve:  die Brüsseler Behörde muss sich weniger um die Wattleistungen der Staubsauger kümmern, dafür mehr um die großen Fragen des Kontinentes. Dazu soll die neue Struktur dienen, in der sieben Vizepräsidenten  koordinieren und Prioritäten setzen.

Ob das  funktioniert,  wird  vom Zusammenspiel der starken Persönlichkeiten abhängen. Die Schwäche der Kommission im vielstimmigen Entscheidungsprozess der EU hat der langjährige luxemburgische Regierungschef auf jeden Fall erkannt.

Bereits tobt der Meinungsstreit im Europäischen Parlament. Das letzte Okay  für die Kommission kommt erst nach Hearings für jeden einzelnen Kommissar. Sozialdemokraten und Grüne laufen gegen den EU-Skeptiker Jonathan Hill als Bankenregulierer Sturm. Der britische Lord hat als Lobbyist für Finanzfirmen gearbeitet. Deutsche Konservative reiben sich an Währungskommissar  Moscovici. Der  linke Franzose schaffte als Finanzminister  die heilige Defizitgrenze von 3 Prozent  nie. Abgeordnete unterschiedlichster  Couleur empören sich über Alenka Bratusek aus Slowenien, die sich als zurücktretende Ministerpräsidentin selbst nominiert hat. Jetzt soll sie  sogar Vizepräsidentin der Kommission werden.

2004 musste Italien  Rocco Butiglioni als Justizkommissar zurückziehen, weil der konservative Katholik beim Hearing Homosexualität  als Sünde bezeichnete. 2010 warf die damalige bulgarische Außenministerin Schelewa   nach einer schwachen Performance  das Handtuch. Die deutsche Bild-Zeitung hatte sie als „Räuberbraut“ verunglimpft.

Inzwischen sind die Fronten  noch härter geworden. Das Europaparlament kann sich für einige Kommissare in Spe noch als schwierige Hürde herausstellen.

Juncker verfolgt mit seiner  Kompetenzverteilung ein klares Ziel: die Kommissare sollen sich genau um jene Dossiers kümmern, die in ihren Ländern besonders kritisch betrachtet werden. Die Niederlande zettern über zu viel Bürokratie? Jetzt wird der niederländische Außenminister Frans Timmermans Entbürokratisierungskommissar. Ungarn sieht die  EU voller Feinde christlich-abendländischer Werte? Der einflussreiche Fidesz-Politiker Tibor  Navracsics, zuletzt Außenminister unter Orban, darf  sehen, wie er als Kommissar für Kultur und Bildung mit dem multikulturellen Europa zurechtkommt. Die  Österreicher wollen mehr Dialog mit Putin? Darum soll sich jetzt Johannes Hahn kümmern. Genau  dieser Logik entspricht auch die Nominierung der Kommissare aus Frankreich und Großbritannien.

In den meisten Hauptstädten ist man hoch zufrieden. Eine der wichtigsten Aufgaben für jeden Kommissar ist es, die Politik  der gesamten Institution  im eigenen Land zu verteidigen.  Als erfahrener Europapolitiker weiß Juncker: gegen ihren Willen kann die EU den Mitgliedsstaaten  kaum etwas aufzwingen.   Aber wenn  die Staaten eingebunden sind, werden sie sich möglicherweise bewegen. In der  Eurokrise hat das Pendel in Richtung  der  Nationalstaaten ausgeschlagen. Die   Juncker-Kommission bietet die Chance zu einer Gegenbewegung.