Beängstigende Parallelen zwischen Katar 2017 und Serbien 1914, 28.6.2017

Droht dem Mittleren Osten durch die Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran eine Kettenreaktion, wie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg? 1914 hat die Rivalität zwischen den Großmächten aus einem lokalen Konflikt auf dem Balkan eine Weltkrise gemacht.

Der französische Politikwissenschaftler François Heisbourg sieht angesichts der Blockade des unbequemen Golfstaates Katar durch eine Koalition konservativer Potentaten beängstigende Parallelen. Am Anfang des Ersten Weltkriegs stand das Drängen Österreich-Ungarns, Serbien unter seine Kontrolle zu bringen. Das Deutsche Reich wollte lieber früher als später einen Krieg mit Russland und stärkte Wien gegen den russischen Verbündeten Serbien den Rücken. Am Arabischen Golf ist Katar der Unruhefaktor.

Der Emir des Kleinstaates hatte den Arabischen Frühling begrüßt. Sein Staatsfonds, prall gefüllt dank riesiger Gasreserven, hält Anteile an den westlichen Paradefirmen Volkswagen und Barclays, er finanziert aber auch die Muslimbruderschaft und die Hamas. Der in Katar beheimatete Fernsehsender Al Jazeera hat mit seiner ungeschminkten Berichterstattung die Medien in der arabischen Welt revolutioniert. Für die Saudis ist der Ministaat so unerträglich wie einst für die Donaumonarchie das nationalistische Serbien. Der Coup, mit dem in Saudi-Arabien der draufgängerische Königssohn Prinz Mohammed bin Salman seinen älteren Cousin als Thronfolger ausgebootet hat, erhöht die Spannungen.

Saudi-Arabien, Ägypten und mehrere Golfstaaten blockieren seit Wochen den Nachbarn. Der Passagierverkehr in das Emirat wurde eingestellt. Die diplomatischen Beziehungen liegen auf Eis. Auch ein Ultimatum gibt es, wie nach der Ermordung Franz Ferdinands. Die Saudis und ihre Verbündeten verlangen, dass Katar den Sender Al Jazeera einstellt und keine von ihnen als terroristisch angesehenen Gruppen unterstützt.

Dabei ist der saudische Wahhabismus selbst der Nährboden der islamistischen Radikalisierung. Der Emir weist die Forderungen zurück. Die Saudis wissen nach dem Besuch Donald Trumps in Riad die USA hinter ihrem offensiven Kurs. Von Trumps Chefideologen Steve Bannon ist bekannt, dass er einen Krieg mit dem Iran für unvermeidlich hält. Das schiitische Regime in Teheran ist der wichtigste Verbündete Katars. In Syrien steht der Iran mit Russland auf der Seite des Assad-Regimes. Die USA und Saudi-Arabien unterstützen die Rebellen. Die Gefahr, dass die Gegensätze eskalieren, wächst.

Die Welt steht nicht vor einer Apokalypse wie 1914. Der große Unterschied des heutigen Katars zum Serbien von einst ist die Verflechtung des Emirats mit dem Westen. Der Zwergstaat beherbergt die größte amerikanische Militärbasis in der Region. Von Katar starten US-Jets für Kampfeinsätze über Syrien, dem Irak und Afghanistan. Eine Invasion des Emirats durch die verfeindeten Nachbarn ist schwer vorstellbar. Wohin der von Saudi-Arabien betriebene Showdown mit den Kataris führen soll, ist unklar. Thronfolger Mohammed bin Salman ist der starke Mann des Königreiches. Er steht für die junge Generation der saudischen Eliten. Das religiöse Establishment hielt er auf Distanz. Den staatlichen Ölkonzern Saudi Aramco will er an die Börse bringen. Als Verteidigungsminister führt der 31-Jährige den Krieg gegen die schiitischen Houthi-Rebellen in Jemen. Die Luftangriffe haben das Nachbarland verwüstet, erfolgreich waren sie nicht.

Außenpolitische Triebkraft bin Salmans ist der Hass auf die Schiiten und ihre Schutzmacht Iran. In einem Fernsehinterview für Al Arabiya vom vergangenen März verspricht Prinz bin Salman den Kampf gegen Teheran auf iranisches Territorium zu tragen. Der britische Nahostexperte Patrick Cockburn sagt, bin Salman und Donald Trump sind die beiden gefährlichsten Männer der Welt. In Syrien bewaffnen die Saudis Rebellen gegen Assad. Obama stoppte die direkte Intervention an der Seite der Aufständischen. Trump ist weniger zurückhaltend. Erstmals hat die US Air Force einen syrischen Kampfflieger abgeschossen, der proamerikanische Rebellen bombardierte. Russland hat daraufhin die Kontakte mit den US-Militärs eingefroren. Eine Konfrontation zwischen russischen und amerikanischen Jets über Syrien liegt in der Luft.

Der indisch-amerikanische Journalist Fareed Zakaria warnt, dass die USA dabei sind, in einen neuen Krieg im Nahen Osten zu stolpern. Schlafwandlerisch nennt die New York Times die US-Nahostpolitik unter Trump. Während die USA unter Barack Obama bemüht waren, Konflikte abzubauen, schürt sein Nachfolger die Gegensätze in einer hochgerüsteten Region.

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