Bangladesch macht dieser Tage Schlagzeilen. Zu recht. Wochenlang hatten Polizei und regierungstreue Milizen versucht Proteste jugendlicher Demonstranten niederzuschlagen. Es gab viele Tote und Verletzte. Letzte Woche kapitulierte die Regierung. Die autoritäre Premierministerin Sheikh Hasina bestieg einen Helikopter und floh nach Indien. Interim Premier wurde der 84-jährige Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus. Yunus ist als Banker der Armen weltbekannt geworden, weil er Mikrokredite zur Bekämpfung der Armut organisiert.
Von einem Machtwechsel, wie ihn das kleine Land mit der riesigen Bevölkerung von 170 Millionen in Südasien gerade erlebt, können die Menschen in anderen autokratisch regierten Staaten wie Venezuela oder Iran nur träumen.
In Bangladesch war der entscheidende Schritt, dass die Armee der Regierungschefin das Vertrauen entzogen hat. Der Armeechef organisierte die Flucht von Sheikh Hasina. Studierende kontrollieren jetzt die Hauptstadt Dhaka, die Streitkräfte lassen das zu. Die Hindu-Minderheit
In Europa war die nunmehr gestürzte Regierungschefin nur Asienspezialisten bekannt. In Südasien wurde die stählerne Frau und Chefin der Unabhängigkeitspartei Awami League ein Symbol für den jungen Staat Bangladesch selbst. Sie gehört zu den Politikerinnen Asiens, die wie Indira Ghandi in Indien, als Tochter einer politischen Dynastie zur Staatenlenkerin wurde.
Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen den Streitkräften und der Awami League prägt die gesamte Geschichte des jungen Staates. Bangladesch war früher ein Teil Pakistans und ist 1971 aus einer Volksrevolution gegen den blutigen Terror des pakistanischen Militärs entstanden. Indien stoppte damals den Völkermord und nahm Millionen Flüchtlinge auf. Dass die mit Pakistan verbündeten USA tatenlos zusahen gilt als verheerende Fehlentscheidung von Henry Kissinger. Freiheitsheld und Staatsgründer war der Vater von Sheikh Hasina, der Anführer der Awami League, Scheich Mujibur Rahman.
Wenige Jahre nach der Unabhängigkeit putschte das Militär gegen die säkulare Regierungspartei. Die Putschisten stürmten das Wohnhaus des Präsidenten und ermordeten die gesamte Familie, den Vater, die Mutter, Sheikh Hasinas drei Geschwister samt den Bediensteten. Die älteste Tochter und angehende Politikerin überlebte nur, weil sie gerade in Deutschland studierte.
Nach Umstürzen und Phasen der Militärherrschaft setzte sich in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Mehrparteiensystem durch, in dem die Awami League wiederholt Wahlen gewann. In den letzten 15 Jahre, in denen sie am Ruder war, ging es mit dem Land wirtschaftlich bergauf. Dank der Globalisierung gab es mehr Jobs als zuvor. Sheikh Hasina wurde Rachsucht gegenüber den innenpolitischen Feinden und den Militärs nachgesagt. Sie agierte immer repressiver sowohl gegen Islamisten als auch gegen Intellektuelle. Den Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus, der ihr jetzt 84jährig nachfolgt, verfolgte sie wegen angeblich korrupter Finanzgeschäfte. In Wirklichkeit war der Grund, dass der Friedensnobelpreisträger versuchte eine neue Oppositionspartei auf die Beine zu stellen. Aber den verfolgten islamischen Rohingya aus den buddhistischen Nachbarstaat Myanmar gewährte sie Asyl.
Die Studierenden rebellierten seit Wochen gegen ein Gesetz, das im Staatsdienst die Nachkommen von Befreiungskämpfern bevorzugte. Aus dem Aufstand gegen den Proporz wurde ein Kampf um das Regierungsamt, den Sheikh Hasina verloren hat. Nachfolger Mohammed Yunus verspricht Wahlen, wenn sich die Gemüter beruhigt haben. Ob es dazu in absehbarer Zeit kommen wird, kann niemand sagen. Es werden Überfälle auf Angehörige der Hindu-Minderheit in dem mehrheitlich islamischen Land gemeldet. 19 Mordanschläge hatte die gestürzte Regierungschefin überlebt. Mit Sheikh Hasinas Awami League ist weiter zu rechnen. Der dominante Ordnungsfaktor ist von Neuem das Militär. Vom Sturz einer verhassten Regierung kann es zu einem echten Neuanfang ein weiter Weg sein.