Was die Unruhen in Hongkong für China bedeuten, Notizen, ORF, 22.11.2019

Die Proteste in Hongkong dauern jetzt schon fast ein halbes Jahr. Diese Woche ist zwischen Studenten und der Polizei um die Polytechnische Universität gekämpft worden, als wäre man im Bürgerkrieg. Wie kann man erklären, dass die Bewegung so lange anhält und dass die Fronten so hart sind?
Aus den politischen Protesten vom Frühjahr ist eine echte umfassende Jugendrevolte geworden. Mit einem Durchhaltevermögen, das sich niemand hätte vorstellen können, wie die Demonstranten angefangen haben im vergangenen Frühjahr mit Protesten gegen ein Gesetz über Auslieferungen in Richtung Volksrepublik China.
Die Stadtregierung hat das Auslieferungsgesetz ja längst zurückgezogen, aber die Protestbewegung wird nicht schwächer, im Gegenteil, sie radikalisiert sich, als Reaktion auf das harte Vorgehen der Polizei.
Es ist in den letzten Monaten die Polizei immer härter vorgegangen, und die Jugendlichen haben sich immer mehr radikalisiert.
Manche Demonstranten schießen mit Pfeil und Bogen, Barrikaden gehen hoch, das hat an manchen Brennpunkten fast Bürgerkriegscharakter.
Das überraschende dabei ist: die Protestbewegung total populär in großen Teilen der Bevölkerung. Trotz der schlimmen Gewalt. Viele Unbeteiligte kommen und helfen den Jugendlichen, mit Lebensmitteln, Wasser, oder als Helfer, wenn jemand verletzt ist.
Dieser Zuspruch für die Demonstranten ist ein Zeichen, dass eine Tiefe Wut in den Menschen schlummert, die da zum Ausdruck kommt. Wut über die Ungleichheit in der Stadt und die Bevormundung durch Peking, die man für die Verhältnisse verantwortlich macht.
Was sind eigentlich genau die Forderungen der Demonstranten? Ist das überhaupt klar?
Es gibt keine übergeordnete Führung oder ein fixes Programm.
Immer wieder genannt werden fünf Forderungen, die immer wieder genannt werden. Nur die erste ist erfüllt, nämlich die Rücknahme des Auslieferungsgesetzes. Was sonst noch dazugehört ist eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt, Amnestie für die festgenommenen Demonstranten und die große politische Forderung: freie Wahlen sowohl für das Stadtparlament als auch für die Regierungschefin.
Das will die Zentralregierung in Peking unter keinen Umständen akzeptieren.
Was es interessanterweise schon gibt sind Bezirkswahlen, am kommenden Sonntag, bei denen sich hunderte oppositionelle Kandidaten bewerben. Einer der bekanntesten Studentenführer, Joshua Wong, ist allerdings nicht zugelassen worden.
Hongkong gehört ja zur Volksrepublik China, seit mehr als 20 Jahren, es gibt auch chinesisches Militär in der Stadt. Aber bis jetzt gilt ein Sonderstatus, der Hongkong um vieles mehr Freiheiten gewährt als anderen chinesischen Städten. Ist dieser Sonderstatus jetzt in Gefahr?
Klar, man weiß nicht, wie lange dieser Sonderstatus halten wird. Diese Unsicherheit ist ein Grund für die Proteste. In Hongkong herrscht Meinungsfreiheit, es gibt eine unabhängige Justiz, es gibt verschiedene Parteien. Aber diese Freiheiten werden Schritt für Schritt eingeengt. Peking will zum Beispiel Hongkonger Gerichtsentscheidungen nicht automatisch akzeptieren.
Es hat zum Beispiel das Hongkonger Höchstgericht ein Gesetz außer Kraft gesetzt, wonach Vermummung bei Demonstrationen verboten ist. Ein Zeichen für die Unabhängigkeit der Justiz, ein Sieg für die Demonstranten. Jetzt sagt Peking, das darf Hongkong gar nicht, dafür ist der chinesische Volkskongress zuständig.
Die ganze Kriese in Hongkong ist für die Führung in Peking ein riesiges Problem. Es zeigt sich: die Kommunistische Partei hat die Jugend in diesem Teil Chinas verloren. Die jungen Leute wollen mit dieser autoritären Führung nichts zu tun haben. Die Revolte in Hongkong ist insofern natürlich ein Zeichen der Schwäche der für die Führung in Peking, die sich so gerne superselbstbewusst gibt.
Natürlich könnte China dreinfahren, den Ausnahmezustand in Hongkong erklären und vielleicht auch mit Militär einmarschieren. Das wäre dann ein zweites Tiananmen, so wie das Massaker gegen die eigene Demokratiebewegung 1989.
Aber die Folgen wären verheerend. International und in Hongkong selbst auch. Daher scheint jetzt die Taktik zu sein, dass man die Zügel schrittweise enger zieht und hofft, dass sich die Bewegung irgendwann totläuft.
Die USA haben ein eigenes Gesetz zur Unterstützung der Proteste verabschiedet. Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien und andere europäische Staaten rufen zur Mäßigung auf. Hat dieses internationale Engagement eine Wirkung?

Die Wirkung ist beschränkt. Die chinesische Führung spricht von ausländischer Einmischung, die man sich unter keinen Umständen gefallen lassen will. In den kontrollierten Medien in der Volksrepublik, die recht ausführlich über Hongkong berichten, ist davon die Rede das ausländische Agenten hinter der Revolte stehen. Und es gibt doch nicht wenige, in China, die das auch glauben.
Andererseits: China steckt in schwierigen Handelsstreitigkeiten mit den USA. Wenn es jetzt eine große Repressionswelle in Hongkong gäbe, dann hätte das sofort Folgen für die internationalen Beziehungen. China würde Sympathien verlieren. Das ist einer der Gründe, warum man bisher nicht noch härter durchgegriffen hat.
Gibt es irgendeine Chance für einen Kompromiss.
Schwierig, unwahrscheinlich, aber total ausschließen würde ich das auch nicht. Es müsste so etwas wie ein Dialogangebot der Führung an die oppositionellen Kräfte in Hongkong geben. Da gibt es die demokratischen Parteien, unabhängige Persönlichkeiten, die auch von den jungen Demonstranten gehört werden. Die müssten ein Angebot bekommen aus Peking zum Dialog.
China könnte sich ein Beispiel in Europa holen. Es hat ja in Frankreich die Gelbwestenbewegung gegeben, auch mit Straßenschlachten, aber die französische Regierung hat mit einem umfangreichen Gesprächsangeboten reagiert.
In der Volksrepublik China gibt es diese Tradition nicht, weil man nicht anerkennen will, dass in jeder entwickelten Gesellschaft eine Vielzahl von unterschiedlichen Meinungen und Interessen gibt. Aber die Kommunistische Partei Chinas ist pragmatisch und ist in ihrer Geschichte manchmal auch auf Kritiker zugegangen. Total ausschließen darf man in der Geschichte nie, dass es zu Korrekturen in Richtung Kompromiss kommt. Aber ausgehen müsste das von Peking.

 

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