Wer in Bolivien putscht, Falter, 20.11.2019 (Foto Gewerkschaftsführer Juan Lechin 1993)

Ist der erste Indiopräsident Boliviens durch einen Militärputsch gestürzt und zur Flucht gezwungen worden? Oder haben patriotische Bürger verhindert, dass sich Evo Morales nach 14 Regierungsjahren zum Präsidenten auf Lebenszeit macht? Der Streit spaltet Lateinamerika und droht die Andenrepublik in den Bürgerkrieg zu reißen.
Evo Morales spricht im mexikanischen Exil von einem rassistischen und faschistischen Coup, nach dem Modell früherer Diktatoren, die mit Folter und Mord regierten. Im Weißen Haus in Washington lobt Donald Trump dagegen eine Rückkehr Boliviens zur Demokratie, weil Evo Morales auf dem Weg zum Alleinherrscher gestoppt worden sei. Rechte Regierungen unterstützen die Erzählung vom demokratischen Triumph. Linke Politiker, Kuba und Venezuela warnen vor einem Comeback der Militärs durch einen Rechtsruck auf dem Kontinent.
Die Fakten sind klar. Der Umsturz gegen Evo Morales begann mit einer Meuterei von Polizisten, die bei regierungsfeindlichen Demonstrationen mitmarschierten. Getragen war die Revolte von den Mittelschichten aus den wohlhabenderen Landesteilen. Zögernd schloss sich die Armeeführung der Revolte an. Für eine Verschwörung des Militärs gibt es keinen Hinweis. Ein deutlicher Unterschied zu einem klassischen Militärputsch.
Die Chaos in der Andenrepublik begann, als Evo Morales ein viertes Mal gewählt werden wollte. Nach ersten Zählungen lag er sieben Prozent vor dem konservativen Gegenkandidaten. Es hätte es zu einer Stichwahl kommen müssen, die sich Morales ersparen wollte. Er ließ nachzählen und kam plötzlich auf einen Vorsprung von über 10 Prozent, was ihn zum Sieger gemacht hätte. Die Fälschung brachte das Fass zum Überlaufen. Die rechte Opposition ging auf die Straße, darunter Fundamentalisten eines katholischen Rechtspopulisten namens Luis Fernando Camacho. Die Organisation Amerikanischer Staaten und die EU kritisierten den Betrug. Das System Morales und sein Movimiento al Socialismo MAS kollapierten innerhalb weniger Stunden. Der gefeierte Held der Linken musste fliehen.
Dabei hatte Bolivien wirtschaftlich aufgeholt. Von einem Niedergang wie im linken Bruderland Venezuela kann keine Rede sein. Mit den Einnahmen aus der staatlichen Gasproduktion hat die Regierung Schulen und Spitäler gebaut. Der Internationale Währungsfonds sagt, dass die extreme Armut von 33 Prozent der Bevölkerung 2006 auf 15 Prozent 2018 zurückgegangen ist. Eine spektakuläre Verbesserung in dem armen Andenstaat.
Aber je erfolgreicher Evo Morales in seiner Wirtschaftspolitik war, desto autoritärer wurde sein Regierungsstil. Damit hat er einen Backclash ausgelöst, der jetzt auch die Errungenschaften seiner Regierungszeit gefährdet.
Hinter der politischen Polarisierung in Bolivien steht ein Kulturkampf zwischen der Mehrheit der Indios und der weißen Oberschicht. Präsidenten, Minister, Wirtschaftsbosse waren immer nur Weiße mit spanischen Vorfahren. Aber das Straßenbild wird von den bunten Kleidern der Aymara, der Quechua und anderer indigenen Völker geprägt.
Mit Evo Morales, der selbst aus dem Volk der Aymara kommt, wurde ein lateinamerikanisches Apartheidsystem gebrochen. Der Präsident trug gerne die von den Eliten verspotteten Trachten seines Volkes. Bolivien wurde offiziell zum Vielvölkerstaat. Das Land bekam eine zweite Fahne, die Whipala, mit den Farben der ursprünglichen Andenvölker. Indigene Riten um die Erdgottheit Pachamama wurden offiziell gefördert. Fundamentalistische Christen waren empört. Aber je mehr Widerstand Evo Morales spürte, desto stärker musste er seine Identität als Indio in den Vordergrund gestellt, um die eigene Basis bei der Stange zu halten.
Der Umsturz gegen Morales ist eine kulturelle Konterrevolution. Die meuternden Polizisten haben sich vor laufender Kamera die Whimpala-Fahne von den Uniformen gerissen. Die aktuelle Interimspräsidentin Jeanine Anez ist für rassistische Tweets und Verachtung der Indios bekannt. In ihrem ersten Kabinett waren ausnahmslos Politiker aus den weißen Eliten.
In den Umsturztagen hatte der rechte Mob das Rathaus einer Kleinstadt bei Cochabamba in Brand gesteckt. Der linken Indio-Bürgermeisterin Patricia Arce wurden gewaltsam die Haare geschoren, die Frau wurde mit roter Farbe übergossen und durch die Stadt geschleift. Es waren schockierende Szenen. In der mehrheitlich von Aymara bewohnten Stadt El Alto zogen regierungstreue Jugendliche mit Bürgerkriegsrufen „Ahora si, guerra civil“ durch die Straßen, zündeten Busse an und plünderten Geschäfte.
Der Bürgerkrieg findet vor allem in Worten statt. Vorläufig. Aber in Lateinamerika ist die zerstörerische Polarisierung von früher ist wieder zurück.

 

HISTORISCHES ÜBER BOLIVIEN
Bolivien war immer ein Land scharfer Gegensätze. Mit Dynamitstäben bewaffnet boten Berarbeiter den Militärs Paroli. Che Guevara versuchte vom bolivianischen Dschungel aus eine lateinamerikanische Guerilla ins Leben zu rufen. Jahrzehnte terrorisierten die Militärs das Land. Der historische Führer der Gewerkschaftsbewegung Juan Lechin (Foto 1993) war lange Zeit der großer Gegenspieler der Generäle. Der jetzt gestürzte Präsident Evo Morales war ursprünglich Anführer der Coca-Bauern. Bei einem Besuch in Wien 2012 warb er für die Vorteile der Coca-Pflanze. 2013 musste seine Maschine in Wien notlanden.

 

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