Warum Europa Joe Biden braucht

  Das durch Donald Trumps verunsicherte linksliberale Amerika hat durch Joe Bidens State of the Union Rede wieder Tritt gefasst. „Vigorous and combative“ war der Präsident, so die Washington Post. Sogar auf Fox News, das den Amtsinhaber sonst nur schmäht,  heißt es, Biden habe „Stamina“, Stehvermögen, bewiesen.

 Üblicherweise sind Reden des Präsidenten vor dem Kongress eine dröge Angelegenheit. Der Amtsinhaber spult vertraute Slogans ab, die Regie lässt die Hälfte des Saales aufspringen und klatschen. Und Amerika hört gar nicht hin.  Das war diesmal anders. Biden stand auf dem Prüfstand. Dem Land dämmert, dass es bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen um eine Weichenstellung von gewaltiger Dimension geht.

 Donald Trump kontrolliert nach seinem Durchmarsch in den Vorwahlen die Republikanische Partei. Amerika wird am 5.November zwischen dem aktuellen Amtsinhaber Biden und dem abgewählten Vorgänger Trump zu wählen haben. 

 In einigen Bundesstaaten werden auch andere Bewerber antreten. Die Umweltaktivistin Jill Stein will dabei sein, ebenso wie der afroamerikanische Intellektuelle Cornel West. Am meisten Chancen hat  Robert Kennedy junior, ein Sprössling aus der berühmten Dynastie der Demokratischen Partei. Mit seiner Familie ist der Neffe von John F.Kennedy zerstritten. Als  Anhänger von Verschwörungstheorien und Impfgegner zählt  er auf  eine beachtliche Anhängerschaft. Robert  Kennedy junior könnte in mehrere Bundesstaaten die Unterschriften für eine Kandidatur schaffen. Möglicherweise wird der exzentrische Anwalt den Demokraten mehr Stimmen wegnehmen als Trump.   

     Die Auseinandersetzung  um das Präsidentenamt 2024 zeichnet Biden nicht als Disput der Personen, sondern als  Kampf um historische  Errungenschaften. Er vergleicht unsere Welt mit 1941 im Zweiten Weltkrieg unter Franklin D.Roosevelt. Sein Vorgänger wolle dieses Erbe demolieren. Trump hat NATO-Staaten, die zu wenig in die Rüstung investieren, für vogelfrei erklärt und  Wladimir Putin auffordert, er soll mit diesen Ländern tun, was er will.

 Weltpolitik spielt nur bei einer Minderheit eine Rolle. Aber Republikaner, die in den Vorwahlen Nikki Haley gewählt haben, lehnen seinen russlandfreundlichen Kurs ab. Biden bemüht sich um Internationalisten aus dem konservativen Lager, die Putin nicht in die Hände spielen und die Ukraine weiter unterstützen  wollen.

  Für Europa ist es von doppelter Bedeutung, dass Joe Bidens Demokraten in die Gänge kommen. Der Streit um die liberale Demokratie tobt auch auf dem alten Kontinent. Ein langer Kampf mit einem reaktionären Russland steht bevor. Gemeinsam mit der extremen Rechten trachtet der Kreml danach die in den letzten Jahrzehnten erkämpften Freiheiten zu zerstören. Putin ist bereit kriegerische Mittel einzusetzen.  Noch nie waren amerikanische Wahlkämpfe für Europa so wichtig wie 2024.  

  Frankreichs Emanuel Macron schockiert Deutschlands Olaf Scholz mit dem Vorstoß, dass es nötig sein könnte zur Verteidigung der Ukraine auch westliche Soldaten zu schicken. Das war bisher ein Tabu. In Paris heißt es, man muss sich auf  einen neuen russischen Angriff gegen Kiew oder Odessa einstellen.  Der Alarmruf geht  auch in Richtung USA. Ohne die Supermacht ist Abschreckung durch die Europäer eine Illusion.

 Putin hat der Zeit der Nachkriegszeit mit ihren schrumpfenden Rüstungsausgaben ein Ende gesetzt. Die Weltpolitik wird der Zeit des Kalten Krieges immer ähnlicher. Nur:  damals fanden die heißen Kriege nicht in Europa statt, sondern in der Dritten Welt, wie es damals hieß. Und: die USA waren klare Führungsmacht des Westens. Diese Zeit kommt nicht wieder. Selbst Joe Biden, ein Internationalist und Demokrat, schafft es nicht im Kongress dringend erforderliche  50 Milliarden Dollar gegen den Willen von Donald Trump durchzusetzen.  Ähnliche Konstellationen wird es in Zukunft öfters geben.

  EU-Binnenmarktkommissar Tierry Breton  möchte europäische Kriegsanleihen über 100 Milliarden Euro begeben, um die Aufrüstung der Mitgliedsstaaten zu beschleunigen. Deutschland und die Niederlande bremsen.   Die Europäische Kommission will die gemeinsame Sicherheitspolitik stärken. Österreich wehrt sich gegen Mehrheitsentscheidungen in sensiblen Bereichen. ÖVP-Verteidigungsministerin Tanner lehnt es im Falter Interview ab, EU-Staaten im Notfall auch militärisch zu unterstützen, obwohl das neutralitätsrechtlich längst möglich wäre. Sie  vertraut aber in eigenartiger Weise umgekehrt trotzdem auf Hilfe für unser Land, wenn wir selbst angegriffen werden.   Europa braucht Zeit um sich auf die neue Situation einzustellen. Amerikas Wahlkampf entscheidet mit, ob wir diese Zeit bekommen.

ZUSATZINFORMATIONEN

TRUMPS LEERE KASSEN

Bidens Rede zur Lage der Nation verbessert die Umfragen für den Präsidenten, meldet CNN. In mehreren Swing States hat bisher Trump besser abgeschnitten.  Bei den Wahlkampfspenden liegt der Demokrat mit 175 Millionen voran, während Trump angesichts hoher Prozesskosten von 50 Millionen das Geld ausgeht. In seinen Finanztöpfen liegen nur mehr 89 Millionen. Eine Geldstrafe aus New York beträgt saftige 455 Millionen Dollar. Schadensersatz für die Autorin Carroll kommt auf 83 Milliarden. Die Milliardäre Elon Musk und Peter Thiel lassen verlauten, sie werden für Trump nicht spenden.  Man wird sehen, ob es dabei bleibt.

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