Warum Donald Trump als nächster US-Präsident gar nicht fix ist

Kann es sein, dass das linksliberale Amerika auf das Comeback von Donald Trump gelassener reagiert, als Europa? Der Spiegel von vergangener Woche schreckt mit einem Szenario „Diktator Trump“ auf der Titelseite.Das deutsche Magazin zeichnet das Bild einer zweiten Präsidentschaft, in der der rechtspopulistische Republikaner die Checks and Balances der amerikanischen Demokratie außer Kraft setzt. Die Möglichkeiten, die einem Präsidenten offen stehen, autoritär zu regieren, werden in den USA seit Wochen diskutiert.Die Radikalisierung der Republikaner mit dem Vormarsch Trumps bei den Vorwahlen ist tatsächlich schockierend. Aber von Defaitismus in der amerikanischen Linken ist trotzdem nichts zu merken. Eugene Robinson, ein linksliberaler Kolumnist der Washington Post, antwortet in seinem Online Chat auf die Frage, ob Trump überhaupt noch besiegt werden kann, lakonisch mit einem Hinweis auf alle Wahlen von nationaler Bedeutung seit Trumps Präsidentschaft 2016: „Republicans have underperformed and Democrats have overperformed. In swing states and districts, Trump and his Trumpiest acolytes have lost.“ Die nationalen Umfragen so früh im Wahljahr, die jetzt Trump vorne sehen, seien irrelevant. „If recent history is any guide, there is plenty of reason to hope for a Trump defeat.“

Trumps Lager schrumpft, liest man im Online Medium Axios. Umfragen rund um Iowa und Pennsylvenia bestätigen die Diagnose. Danach sagen 40 Prozent all jener, die bei Trump-Konkurrentin Nikki Haley, einer ehemaligen Gouverneurin von South Carolina, das Kreuz gemacht haben, sie lehnen Trump total ab und können sich vorstellen, im November Biden zu wählen. In stark umkämpften Bundesstaaten werden am Wahltag Unabhängige den Ausschlag geben.Der größte Makel für gemäßigte Konservative ist Trumps Weigerung, das für ihn negative Wahlergebnis von 2020 anzuerkennen. Bei den Republikanern wird es Mode, schon im Voraus zu behaupten, dass Wahlen, die man verliert, gefälscht sein müssen. Das peitscht die unter der Marke „MAGA“ (Make America Great Again) agierenden Fans an.Wechselwähler hingegen stößt Trump mit seinem antidemokratischen Radikalismus ab. Die 91 Anklagepunkte in vier Prozessen beeinträchtigen zusätzlich seine Glaubwürdigkeit, trotz der Show, die er daraus macht. Es wird ihm schwerfallen, Wechselwähler in den entscheidenden Swing States wie Ohio, Pennsylvania oder Michigan zu überzeugen.Wenn die Demokraten ihre Karten richtig spielen, sind die Chancen ihres Kandidaten gar nicht schlecht. Die anhaltend gute Wirtschaft hilft Biden, auch wenn es noch dauern wird, bis die Konsumenten den Rückgang der Inflation spüren. In der Abtreibungsfrage befürworten 70 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner eine Fristenlösung. Nach dem Ende des bundesweiten Rechts auf Abtreibung durch den Supreme Court machen die Demokraten aus der Abtreibungsfrage ein Wahlkampfthema. Trump hat die ultrakonservativen Richter ernannt.Zwei unpopuläre Senioren im Kampf um das mächtigste Amt der Welt ist kein gutes Zeichen, wie der Historiker Mitchell Ash im FALTER Podcast zu Recht bemerkt. Aber die Resilienz von Demokratie und Zivilgesellschaft in den USA sind größer, als der Durchmarsch von Trump bei den Vorwahlen vermuten lässt. So wie übrigens auch in Europa die Widerstandskraft gegen den rechtsrechten Ansturm nicht unterschätzt werden sollte, meint
Bild von Raimund LöwIhr Raimund Löw
DEEP DIVE USAWelche Schatten die Neuauflage des amerikanischen Wahlduells Trump vs Biden auf Europa wirft und ob wirklich das Schicksal der Demokratie auf dem Spiel steht, diskutiere ich mit Historiker Michell Ash (Wien-New York), der ehemaligen US-Korrespondentin des ORF, Hannelore Veit (Wien-Washington DC) und FALTER-Herausgeber Armin Thurnher.Hannelore Veit steuert einen Direktbericht aus dem Vorwahlkampf bei, Mitchell Ash liefert einen ungeschminkten Blick auf den amerikanischen Konservativismus. Und Armin Thurnher beleuchtet, wie die Medien beim Aufstieg rechten Populismus funktionieren. Diesseits und jenseits des Atlantiks. Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen!
EINE ANALYSE VON WELTSelten habe ich so fasziniert zugehört, wie beim Interview mit New York Times-Korrespondentin Vivian Nereim über die Houthis, die schiitische Miliz, die große Teile des Jemen regiert. Auch für Menschen, die den Nahen Osten seit Langem verfolgen, ist der Aufstieg der schiitischen Lokalmiliz zur regional relevanten Kraft ein Mysterium.Jetzt beschießen die Houthis Frachtschiffe im Roten Meer, um ein Ende der israelischen Angriffe auf Gaza zu erzwingen. Vivian Nereim kommt zum Schluss, dass Gegenangriffe der Amerikaner und Briten von den Houthi-Chefs begrüßt werden, weil die Milizionäre wissen, wie man Kriege führt, aber keine Ahnung haben, wie man ein Land verwaltet. Hörenswert!
LESE-TIPPVor siebzig Jahren entführten katholische Priester auf Befehl aus dem Vatikan zwei in Frankreich geborene jüdische Kinder. Zuvor waren die Brüder gegen den Willen ihrer Familie getauft worden. Diese kam aus Wien. Georg Renöckl hat die beiden Männer besucht und ihre unfassbare Geschichte aufgeschrieben. Sie lesen sie auf falter.at