Der ukrainische Kriegswinter und wir, Falter 10.1.2024

 Der ukrainische Verteidigungskrieg ist durch die Tragödie in Gaza aus den Schlagzeilen verdrängt worden. Mit Jahresbeginn ist er in eine neue Phase getreten. Die Hoffnung, dass es gelingen kann die russischen Besatzer kurzfristig zurückzudrängen, ist geschwunden. Die Frontlinie dehnt sich vom Schwarzen Meer im Süden über mehr als 1000 Kilometer in den Norden.

  Putin könnte den Krieg gewinnen, schlägt der britische Economist  Alarm.

   Russland hält unverändert ein Fünftel des ukrainischen Territoriums besetzt. Militärexperten sprechen von einem Stellungskrieg. Keine Seite hat die Kraft für größere Gewinne. Der ukrainischen Artillerie fehlt es an Munition.  Den russischen Angreifern gelingt es trotzdem nur wenige Kilometer vorzurücken.

 Seit dem Jahreswechsel greift Russland die Ukraine in noch nie dagewesenem Ausmaß aus der Luft an. Hunderte Drohnen, Marschflugkörper und Hyperschallraketen treffen Kiew, Charkiw, Odessa und andere Städte. Dank des Nachschubs aus dem Iran, Nordkorea und der eigenen Rüstungsindustrie gehen die Geschoße nicht aus.

  85 Prozent aller feindlichen Flugobjekte werden von den Ukrainern rechtzeitig abgeschossen. Es ist eine erstaunliche Leistung der Luftabwehr, gestützt auf Waffen aus der NATO. Ohne westliche Raketenschutzsysteme und anderes Kriegsgerät, gegen das Friedensaktivisten protestiert haben,  wäre die Bevölkerung dem  Terror aus der Luft schutzlos ausgeliefert. Wie lange die Munition für den Schutzschirm der Patriot-Raketen noch reicht ist unklar.

   Der tägliche Luftalarm zermürbt die Menschen, es gibt jeden Tag  Tote. In der russischen Grenzstadt Belgorod, von der  aus Angriffe angeleitet werden, sind umgekehrt zwei Dutzende russische Zivilisten beim Shoppen Opfer des Luftkrieges geworden. Putin macht die Ukraine verantwortlich und schwört Rache. 

  Russische Diplomaten lassen in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa durchblicken, dass der russische Präsident unter bestimmten Umständen an Waffenstillstandsverhandlungen interessiert sein könnte. In Washington wird überlegt, ob ein Ausweg möglich ist, der für die Ukraine akzeptabel wäre.

  Es gibt jedoch keine Hinweise, dass der Kreml von seinen langfristigen Zielen abrückt. Putin strebt die Zerstörung der souveränen Ukraine an.  Entnazifizierung und Demilitarisierung sind die Schlagworte, mit denen russische Politiker die erwünschte Machtübernahme in Kiew umschreiben.

 Die ungelöste Frage für den Westen ist, wie kann man verhindern, dass ein aggressives Russland nach einigen Jahren eines möglichen Waffenstillstands von Neuem gegen Kiew marschiert?

  Vladimir Putin denkt kurzfristiger. Der russische Präsident hat die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Blick. Gewinnen die Republikaner mit Donald Trump, dann droht die Ukraine ihren wichtigsten Verbündeten zu verlieren. Europa hält der Ukraine erstaunlich klar die Stange, trotz der Debatten in Deutschland und der Querschüsse Ungarns. Aber die Europäische Union wäre kaum in der Lage einen  Rückzug der USA  auszugleichen.

  Beim Kampf um die Ukraine geht es nicht nur um die Kontrolle umstrittener Territorien. Putin führt den Krieg als politischen Feldzug gegen die liberalen Demokratien. Die Ukraine hat viele Probleme, aber es gibt ein Mehrparteiensystem mit Meinungsfreiheit und dem Bekenntnis zu einem demokratischen Europa.

  Scheitert die freie Ukraine gegen ein faschistoides Russland, dann hätte das fatale Folgen für den gesamten Kontinent. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat recht, wenn er  argumentiert, dass Finanzmittel und Waffen für sein Land die wichtigste Investition in die Zukunft Europas sind.

  Die Solidarität mit der Ukraine ist in Europa nicht verschwunden, aber sie ist brüchig. Dagegen anzukämpfen ist auch für Österreich wichtig, ist doch die Ukrainehilfe in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten ein Thema. Die österreichischen Politiker sind gefordert zu erklären, warum es in unserem eigenen Interesse ist, den ukrainischen Verteidigern den Rücken zu stärken.  

  Die  bevorstehenden Wahlkämpfe bieten eine Chance, mit der sich die  ÖVP glaubwürdig von den Freiheitlichen abgrenzen kann. Grüne und NEOS sind in der politischen  Unterstützung der Ukraine sowieso nicht zu übersehen. Bleibt die SPÖ, die sich in der Außenpolitik gerne zurückhält. Wann fährt eigentlich Andreas Babler zu einem Solidaritätsbesuch zu Selenskyj, der angeblich bereits im Herbst angedacht war? Der SPÖ-Chef würde in Kiew angesichts des täglichen Alarms wahrscheinlich auch  in einen Luftschutzkeller gehen müssen. Es wäre ein Zeichen der Solidarität, das in der gegenwärtigen kritischen Situation höchst angebracht ist.

ZUSATZINFORMATIONEN

   Terror aus der Luft

Mehr als 10 000 Luftangriffe hat es nach ukrainischen Angaben seit Kriegsbeginn gegeben. Militärische Einrichtungen, Infrastruktur und zivile Ziele wurden getroffen.  Im US-Kongress stecken 61 Milliarden  Ukrainehilfe fest. Die EU Union kann sich nicht entscheiden, wie 50 Milliarden Euro für Kiew aufgebracht werden sollen.

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