Syrien droht zu zerfallen, 20.07.2025

Eineinhalb Jahre nach dem Sturz von Baschar Assad ist Syrien weiter ein Land blutiger Gewalt.   Im Dezember 2024 hatte eine Allianz islamistischer Milizen den Langzeitdiktator aus Damaskus vertrieben. Die Befürchtung, dass sich das Nachbarland Israels  zu einem Al Kaida-Staat wandelt, weil der aktuelle Machthaber Ahmed Scharaa ein führender Dschihadist war, hat sich nicht bestätigt. Aber von Erholung nach Jahren des Bürgerkrieges ist Syrien weit entfernt. Bei Zusammenstößen zwischen Milizen der drusischen Minderheit, sunnitischen Beduinen und den islamistisch geprägten Streitkräften kam es zu Massakern mit hunderten Toten. Israel nützte die Verwirrung und griff die Hauptstadt Damaskus an.

Übergangspräsident Ahmed Scharaa hofft, dass sich ein Waffenstillstand mit den Drusen durchsetzt, obwohl die Kämpfe weiter gehen. Das Gebiet, in dem Dusen leben,  ist nur einer der Krisenherde. Im Frühjahr stand im Westen  das Wohngebiet der Alawiten, einer anderen religiösen Minderheit  in Flammen. Die Alawiten  waren die wichtigste Machtbasis der Assaddiktatur gewesen und erlebten die Rache der sunnitischen Sieger. Im Norden Syriens verteidigen kurdische Milizen die Autonomie, die sie unter dem Namen Rojava in den letzten Jahren errungen haben. Die Kämpfe im halbautonomen Drusengebiet im Süden zeigen, wie gefährlich die zentrifugalen Kräfte sind. Die Behauptung von  Innenminister Karner, dass Syrien ein sicheres Land ist, in das Österreich Flüchtlinge problemlos abschieben kann, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

 Die Nachbarstaaten Türkei und Israel, der Iran und die USA mischen kräftig mit. Die islamistischen Herrscher in Damaskus haben es trotz aller Versprechen  nicht geschafft, eine zeitgemäße Perspektive für ein neues Syrien zu schaffen, mit der alle Volksgruppen  leben können. Unter Hafez al-Assad, dem Vater des gestürzten letzten Diktators, hatte der Staat eine klare Ideologie. Die regierende Baathpartei verstand sich als sozialistische Strömung des arabischen Nationalismus. Syrien war mit der Sowjetunion verbunden und ein Bollwerk gegen die USA und Israel. Die Schrecken der alten Welt sind in Syrien vorbei, genauso wie im Irak nach dem Sturz der konkurrierenden Baathpartei des Saddam Hussein, aber eine neue Vision fehlt.

Bei den Drusen gibt es rivalisierende Klans mit unterschiedlichen politischen Identitäten. Drusen sind, obwohl Muslime, in den israelischen Streitkräften zugelassen. Drusisch-arabische Kommandos  spielen für die israelische  Kriegsführung eine wichtige Rolle. Auf den ehemals syrischen Golanhöhen, die Israel  völkerrechtswidrig annektiert hat, protestierten dagegen Tausende gegen die Besatzung. Als die Massaker an den Glaubensbrüdern in Syrien bekannt wurden, überquerten jedoch  tausende Bewaffnete die Grenze um die bedrohten Nachbarfamilien in der Stadt Suweida  zu unterstützen. Der Waffenstillstand mit Damaskus  den die Drusenvertreter ausgehandelt haben, wird von einem separatistischen  Clanchef der Drusen  abgelehnt. Die Situation könnte brüchiger nicht sein.

Israel beansprucht eine Pufferzone in dem Nachbarstaat, in der man glaubt nach eigenem Gutdenken mit militärischer Gewalt zuschlagen zu können. Regierungschef Netanjahu sagt, die Israelis hätten durch Luftangriffe das Massaker gegen die Drusen gestoppt. Allerdings haben die Israelis 50 Kilometer entfernt auch die Hauptstadt Damaskus angegriffen.  Bomben gingen auf das Verteidigungsministerium im Zentrum nieder, ein Gebäude unweit des Präsidentensitzes wurde zerstört. In Panik brach ein Fernsehteam seinen Liveeinstieg ab. Für die Menschen, die gehofft hatten, dass  Kriegsszenen Vergangenheit sind, waren die Bilder ein Schock.

Die Regierung in Jerusalem demonstriert durch  Angriffe auf die benachbarte Hauptstadt, dass der jüdische Staat  im neuen Nahen Osten militärische Gewalt  einsetzt, wann und wo man will. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres protestiert gegen die völkerrechtswidrige Verletzung der syrischen Souveränität. Das internationale Echo hält sich in Grenzen.

Während die Europäer und die USA auf die Stabilisierung Syriens setzen, geht die Stimmung in Israel in die entgegen gesetzte Richtung. Der Diasporaminister nennt den Übergangspräsidenten einen Terroristen, der sofort eliminiert gehört. Tatsächlich unterstützt Israel nicht nur die Drusen im Süden, sondern auch die Kurden im Norden. Es ist ein klassisches Muster, schreibt  Tomas Avenarius in der Süddeutschen Zeitung. Die  Strategie erinnert den Außenpolitikexperten an das Vorgehen der  Kolonialmächte in früheren Zeiten,  als Schutzmacht von Minderheiten zu agieren,  um in Wirklichkeit nur die eigene Machtposition auszubauen. Die Syrer aller Konfessionen  sind ein Opfer von Umwälzungen, die nicht zu Ende sind.

ZUSATZINFORMATIONEN

Die Drusen, eine schiitische Religion aus dem 11.Jahrundert

Eine Millionen Drusen leben verstreut in allen Staaten der Region. Im Libanon spielt der Clan des Drusenführers  Dschumblat eine wichtige Rolle in der antisyrischen Linken. In Syrien kämpften wichtige Generäle aus der Volksgruppe an der Seite Assads. In Israel gibt es  rivalisierende proisraelische und prosyrische Drusen.