Die EU und Gaza – eine Schande, Falter Maily 20.07.2025

  Europa schaut bei Gaza weg. Bereits vor Wochen haben in Brüssel Experten des Europäischen Auswärtigen Dienstes aufgezeigt, dass die israelische Kriegsführung im Widerspruch zu dem seit 2000 geltenden Kooperationsabkommen mit der Europäischen Union steht, das in Artikel 2 die Einhaltung der Menschenrechte  zur Grundlage hat. Die Erkenntnis bleibt folgenlos. Die Pro-Netanjahu-Lobby unter den 27 Mitgliedsstaaten, zu der auch Österreich gehört, verhindert eine Sistierung  des Abkommens.  Es hat gereicht, dass die Regierung in Jerusalem vage Zugeständnisse bei Hilfslieferungen gemacht hat, die in ein paar Wochen überprüft werden sollen. Es bleibt bei Appellen.

Die Haltung der Europäer ist eine  Schande. Der Gazakrieg, der als legitimer Gegenschlag auf das  Massaker des 7.Oktober der islamistischen Hamas begonnen hat, ist zu einem  Menschheitsverbrechen unserer Zeit geworden De facto erleichtert die Europäische Union durch ihre Tatenlosigkeit der Regierung in Jerusalem eine Politik der ethnischen Säuberungen, wie von UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk und anderen Institutionen dokumentiert wird. Jeden Tag gibt es Dutzende Tote unter den Tausenden, die gezwungen sind sich um Hilfslieferungen anzustellen. Der israelische Verteidigungsminister will auf den Trümmern der zerstörten Stadt Rafah im Süden ein riesiges Gefangenenlager errichten, aus dem die Palästinenser deportiert werden könnten. Was braucht Europa eigentlich mehr um ernsthaft zu reagieren?

   Der Opportunismus gegenüber Netanjahu schadet Israel, das sich im Glauben an die Allmacht militärischer Gewalt verrannt hat, und Europa, das seine eigene internationale Glaubwürdigkeit demoliert.

Der Gazakrieg hat zu einer  merkwürdigen Debatte geführt, welche Dimension von Kriegsverbrechen die Bezeichnung Völkermord verdienen und welche nicht. In einem Gespräch für das Falter Radio über Zionismus und Antizionismus argumentiert der Schriftsteller Doron Rabinovici, dass hinter dem Vorwurf von Genozid für Gaza in Wirklichkeit die bewusste oder unbewusste Absicht steht, den jüdischen Staat zu delegitimieren. Schließlich sei Israel als Antwort auf den  Holocaust gegründet worden.  Es ist richtig Aussagen entgegen zu treten, wonach die Juden heute so ähnlich agieren wie früher die Nazis. Solche Behauptungen sind die Grundlage antisemitischer Angriffe in vielen Teilen der Welt. Aber die Definition des Völkermords ist  völkerrechtlich unabhängig vom Holocaust geworden. Genozid ist ein Verbrechen durch das ein Volk völlig oder teilweise zerstört werden soll. Genau das passiert in Gaza, egal wie man den Vorgang benennt.

Die EU-Regierungen, die glauben Israel unbedingt die Stange halten zu müssen, unterschätzen die Auswirkungen auf die Stellung Europas und das internationale Rechtssystem. Irene Horejs war als EU-Diplomatin in Afrika, Lateinamerika und Asien im Einsatz. Sie erinnert daran, dass die Menschenrechte ein entscheidender Punkt waren, den die Europäer in internationale Verträge hinein reklamiert haben. Häufig gegen heftige Widerstände von autoritären Herrschern.  Die Mitgliedsstaaten der EU waren maßgeblich an der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag beteiligt. Wir wurden als EU-Diplomaten zu den Regierungen in Afrika ausgesandt, um sie vom Beitritt zum Statut von Rom, das Grundlage Haager Gerichte ist, zu überzeugen, sagt die ehemalige EU-Botschafterin. Wer sollte dem europäischen Diskurs heute noch glauben, wenn israelische Kriegsverbrechen, die von internationalen Experten und der EU selbst dokumentiert sind, hingenommen werden? Welcher Staat soll Menschenrechtszusagen noch ernst nehmen, wenn die EU selbst in einem derart gravierenden Fall wegschaut?

  Beim Nahost-Kurs der EU hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein gewichtiges Wort mitzureden. Genauso wie EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas. Von beiden Politikerinnen war zum Gaza-Krieg wenig zu hören. Gegen die  Nachsicht der Europäer für Israel wenden sich Anwälte mit einer geplanten Eingabe beim Europäischen Gerichtshof. In einem 90-seitigen Appell berufen sie sich auf Artikel 265 des EU-Vertrages, der Sanktionen gegen Europäischen Institutionen vorsieht, die untätig bleiben, wenn sie handeln müssten. Ein logischer Schritt, aber zu wenig, damit Europa aus der aktuellen Vogel Strauß-Politik zu Gaza heraus findet.