Der Nobelpreis für die EU? Völlig verdient und rechtzeitig

Als Barack Obama vor drei Jahren den Friedensnobelpreis erhielt, reagierte das Weiße Haus nobel distanziert. Der neue Präsident hatte die Welt vom Alptraum einer  durch  Selbstüberschätzung unberechenbar gewordenen Supermacht befreit. Bestätigung von außen durch die Damen  und Herren des Osloer Komitees war für den neuen Präsidenten  weniger wichtig als Durchsetzungskraft nach innen.
Für die Europäer kommt die Preisverleihung dagegen wie gerufen. Seit dem Spätsommer  fasst  die Union wieder Tritt. Mit dem Segen Angela Merkels hat Zentralbankchef Mario Draghi den unbegrenzten Schutz der Währungshüter über den gesamten Euroraum ausgebreitet. Bei den Wahlen im Trendsetterland Niederlande gab es eine krachende Niederlage für den reaktionären Traum  der Rechtspopulisten nach einer Rückkehr zum Gulden.  Selbst in der CSU, die glaubt mit antigriechischen Ressentiments zu punkten, regt sich Widerstand gegen die Euro-skeptischen Töne der Parteiführung. Schlagartig hat das Nobelpreiskomitee aus dem kühlen Norden nach dem quälenden Erbsenzählen um  Schulden, Kredite und Haftungen die Grundidee  der europäischen Integration ins Zentrum gestellt.   Die Alternative zu Brüsseler Verhandlungsnächten sind  militärische Drohgebärden. Im aufstrebenden Asien tragen  China und Japan, Indien und Pakistan ihre Konflikte in traditionell martialischer Art aus. Keine nachahmenswerten Beispiele  für den alten Kontinent. Herman van Rompuy ist schwer zu widersprechen: wenn man den Preis von fast achtzig Jahren europäischer Kriege  zwischen 1870 und 1945  vor Augen hat, so der EU-Ratspräsident, ist die EU wahrscheinlich die größte Friedenproduzierende Organisation der Geschichte. Eher jämmerlich wirkt dagegen die Ignoranz des obersten  EU-Skeptikers Vaclav Klaus in Tschechien, der von einem schlechten Scherz spricht. Der tschechische Präsident, geschädigt durch die Erfahrungen des sowjetischen Imperiums,  lebt in einer Welt, in der alles Böse von supranationalen Institutionen kommt.

 

Dass sich  die Nation in Europa als oberstes Prinzip überholt hat, überfordert allerdings nicht nur den verschrobenen Burgherrn in Prag. Immerhin hat die deutsche Kanzlerin, der man lange berechnende Distanz zu Europa nachgesagt hat,  diesen Sommer das Ruder herumgerissen, so lautet der Spin  in Berlin. Griechenland aus dem Euro heraus zu drängen, wie der ahnungslose FDP-Chef Rössler noch im Sommergespräch fabulierte,  sei viel zu riskant. Kann doch niemand garantieren, dass  nicht auch halb Europa in die Tiefe gezogen würde, inklusive die  lebenswichtige deutsch-französische Achse.
Der erste Besuch Angela Merkels in Athen seit dem Ausbruch der Krise war das Signal des neuen Kurses. Deutschland redet nicht nur über Griechenland, sondern auch mit den Griechen. Der Respekt vor dem hohen Preis der griechischen Gesellschaft, den die Kanzlerin artikulierte, klang ernst.  Trotz der antideutschen Maskerade manch linker Demonstranten mit Naziuniform und Hitlergruß, blieb der große Eklat aus.  Die deutsche Öffentlichkeit trug die Beschimpfungen mit Fassung. Im Vordergrund standen Berichte über den Mangel an Medikamenten in Athener Spitälern. Fast scheint es, als ob sich das  emotionale Aufschaukeln zwischen Nord und Süd in Europa  erschöpft hätte.
Noch wird zwischen Europäern, Internationalem Währungsfonds und der Regierung in Athen  heftig gerungen, wie genau die  Finanzlücken zu stopfen sind.  Die wiederholten Wahlgänge haben Reformen aufs Eis gelegt. Die Wirtschaft  schrumpft so rapide, dass der Schuldenstand  trotz aller Einsparungen relativ gesehen wächst. In einer überraschenden Kertwende warnt der Internationale Währungsfonds, die staatlichen Kürzungen würden die Wirtschaft  stärker in die Rezession treiben als erwartet. Dahinter steht das unausgesprochene Drängen der USA zu einem  zweiten Schuldenschnitt für Griechenland.  Der würde die staatlichen Geldgeber treffen, allen voran Nationalbanken und die Europäische Zentralbank. Die   Regierungen Europas stehen auf der Bremse. Sie fürchten nationalistische Reflexe, weil über viele Umwege  Gelder  der Steuerzahler im Spiel wären. Aber der große Krach eines Staatsbankrotts  inklusive Grexit, dem gefürchteten Austritt aus dem Euro,  ist weniger wahrscheinlich geworden. Die nächste Tranche Finanzhilfe von 31,5 Milliarden Euro wird wohl fließen. Zu groß könnten die Kosten eines Dominoeffekts sein, der auch die EU als Friedensfaktor  beschädigt. Eine Rechnung, die dank des Nobelpreises jetzt offensiver angestellt wird als zuvor.