Der neue Pragmatismus der Linken, Falter Maily 11.9.2025

Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie stellten ihr neues Buch im Wiener Bruno Kreisky Forum bei Robert Misik (rechts) vor. (Foto © Bruno Kreisky Forum)
Daniel Cohn-Bendit wirft im prächtigen Garten des Bruno Kreisky Forums in Wien einen Blick auf sein Handy. Die Abstimmung in der Nationalversammlung in Paris läuft gerade. Das war zu erwarten, schüttelte der langjährige Rebell und Ikone des französischen Mai ’68 den Kopf, als klar war, dass Francois Bayrou, Macrons vierter Premierminister innerhalb von zwölf Monaten, gestürzt ist.Von der Linkspartei La France Insoumise, die gegen Bayrou gestimmt und den heutigen Protesttag mitorganisiert, hält er gar nichts. Wenn die Franzosen so weitermachen, ist 2027 Marine Le Pen Präsidentin, klingt Cohn-Bendit später auf dem Podium alarmiert. Vorausgesetzt, sie kann nach einem Gerichtsurteil kandidieren. In der herbstlichen Einstiegsveranstaltung des Kreisky Forums mit dem deutschen Politologen Claus Leggewie und dem Journalisten Robert Misik plädieren die beiden ergrauten linken Vordenker für eine Allianz der Vernünftigen, damit die Negativspirale aufhört, die in einem Faschismus à la Trump enden kann. Dass wir so knapp vor dem Abgrund stehen, muss die Triebkraft sein, um demokratische Linke und Konservative zu einem Kompromiss zu bringen, argumentiert Cohn-Bendit.Der Rückzug ist in jeder Schlacht das schwierigste Manöver, wissen Militärexperten. Das gilt auch für die Politik und die Welt der politischen Ideen. Die Zeit linker Umbaupläne für den Kapitalismus ist vorbei, ob revolutionär wie in Paris 1968 oder reformistisch wie seither für Sozialdemokraten und Grüne. In den USA erleben gerade die Demokraten, dass sie aus der Verliererstraße gegenüber der außer Rand und Band geratenen rechtsextremen Führungsfigur Trump nicht herauskommen.Wann ist der Kipppunkt in Richtung Autoritarismus erreicht? Ernsthafte Antworten lassen sich auf solche Fragen erst im Nachhinein geben. Klar ist: Wenn das konservative Lager einem faschistoiden Demagogen verfällt, wie in den USA, ist die Lage dramatisch. Konservative, die an eine Allianz der Mitte gebunden sind, sind zweifelsohne eine bessere Variante.Rasend viel Trost können die beiden Veteranen den Akteuren von heute nicht geben. Aber Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit erinnern daran, wie rasend schnell manchmal Veränderungen zum Besseren passieren. Als der deutsche Kanzler Konrad Adenauer kurz nach Kriegsende das erste Mal zu Charles De Gaulle nach Frankreich kam, wurde er mit faulen Eiern beworfen. Wenig später waren Deutschland und Frankreich enge Verbündete, das Bündnis hält bis heute.“Zurück zur Wirklichkeit“ hieß die Diskussion im Bruno Kreisky Forum. Es ist der Titel eines Buches, mit dem die Autoren der heutigen Generation Mut machen wollen. Gemeint ist, dass trockener Realismus das beste Instrument gegen rechtsrechte Ideologien ist.2015 ist angeblich gescheitert? Wie kann das sein, wenn 70 Prozent der damals gekommenen Flüchtlinge inzwischen arbeiten, wundert sich Cohn-Bendit? Robert Habeck ist zwar weg, aber CDU-Kanzler Merz macht genau das, was der Star der Grünen vor den Wahlen gefordert hat: viel Geld aufnehmen, um die Infrastruktur zu reparieren. In Deutschland und Österreich funktionieren mehr oder weniger die Koalitionen, die sich als Allianz der Vernünftigen verstehen. Wie ÖVP-Minister bei uns glauben, dass sie erfolgreich sein können, wenn sie die Freiheitlichen imitieren und gegen Muslime Stimmung machen, das tut weh. Man wird unweigerlich daran erinnert, dass die ÖVP bereit war, Herbert Kickl das Kanzleramt zu überlassen, bevor sie sich letztlich doch einem Orbán-Kurs für Österreich verweigert hatNicht anstreifen bei den konservativen Ausfällen gegen Menschenrechte und die Europäischen Menschenrechtsgerichte, aber gleichzeitig an den Koalitionen der Mitte festhalten, das ist zurzeit wohl das schwierigste Kunststück für linksliberale Politiker.