Haben Sie die versteinerten Gesichter der obersten Militärs der USA gesehen, als Pentagon-Chef Pete Hegseth Ihnen predigte, dass Antidiskriminierungsregeln wokes Teufelszeug seien und der Präsident sie zum Krieg gegen den Feind von weiterlesen...

Journalist und Historiker
Verstört sehen wir zu, wie Donald Trump in den USA den Rechtsstaat aushöhlt. Aber auch in Europa bewegt sich die liberale Demokratie auf dünnem Eis. In Frankreich und Großbritannien, den Westmächten des Kontinents, ist die Hilflosigkeit der Regierungen besonders gefährlich.
In Frankreich spitzt sich erneut eine Regierungskrise zu. Premierminister Francois Bayrou, der im Auftrag von Präsident Macron eine Minderheitsregierung führt, stellt am 8.September die Vertrauensfrage. Er will ein Sparbudget mit Einschnitten im Sozialbereich durchbringen. Die sonst uneinige Opposition könnte den Christdemokraten stürzen. Für zwei Tag später, dem 10.September, ist aus Protest gegen die Regierung eine Blockade des ganzen Landes angekündigt. „On bloque tout“, „Alles wird blockiert“, ist auf Häuserwänden und in den sozialen Medien zu lesen.
Die geplante Totalblockade ist von mysteriösen Akteuren auf der Onlineplattform Tiktok gestartet worden. Straßenproteste, die Besetzung von Amtsgebäuden und Streiks soll es geben. Von Taxifahrern und Bauernverbänden bis zur Partei des Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon sind dutzende Organisationen aufgesprungen. Es gibt kein gemeinsames Programm und keine Führung.
Auf dem internationalen Parkett ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine wichtige Stimme für Europa. In der Innenpolitik kommt er nicht vom Fleck. Im letzten Jahr hat er ohne Not Neuwahlen ausgerufen, die für ihn zum Debakel wurden.
„Bei allen Protesten geht es in Wirklichkeit um Macron“, sagt der Journalist Danny Leder in Paris. Die Amtszeit des Präsidenten dauert noch bis 2027. Viele Franzosen hoffen, dass Macron zum Rücktritt gedrängt werden kann. In allen Gesellschaftsschichten ist aggressive Unzufriedenheit mit seinem unternehmerfreundlichen Kurs zu spüren. Sowohl Marine Le Pen, die Anführerin des rechtsrechten Rassemblement Nationale, als auch Melenchon verlangen sofortige Präsidentschaftswahlen. „Ein Duell zwischen dem linken Populisten Melenchon und der rechtsrechten Populistin Le Pen wäre die Folge“, so Danny Leder. Sollte Le Pen wegen eines Korruptionsurteils nicht kandidieren können, wird sie ihren Adlatus Bardella ins Rennen schicken. „Für Viele ist das ein Schreckensszenario. Aber die zerstrittenen Kräfte der Mitte sind unfähig gemeinsam zu agieren.“
Auslöser der aktuellen Krise ist ein Sparbudget, das den Anstieg der Staatsverschuldung auf 115 Prozent der Wirtschaftsleistung stoppen soll. Dass der Premierminister sogar zwei Feiertage streichen will, empört die Menschen besonders.
Eine schwächelnde Regierung, Straßenproteste und den Höhenflug eines rechtsrechten Außenseiters erlebt auf der anderen Seite des Ärmelkanals Großbritannien Die nächsten regulären Unterhauswahlen stehen erst 2029 bevor. Aber seit Monaten schockieren Umfragen das Land, wonach die Reformpartei des Ultrarechten Nigel Farage in der Wählergunst an erster Stelle steht.
Farage nimmt sich Donald Trump zum Vorbild und führt eine Kampagne für Massenabschiebungen von Ausländern. Innerhalb eines hypothetischen ersten Regierungsjahres wird er 600000 Migranten deportieren, verspricht Farage. Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention will die Reform Party austreten. Auf der britischen Atlantikinsel Ascension will man ein Lager für Flüchtlinge errichten.
Im Unterhaus verfügt Farage gerade über fünf Abgeordnete. Die guten Umfragewerte bewirken jedoch, dass die Ankündigungen des rechten Showmans großen Widerhall finden. Beim Kampf für den Brexit vor zehn Jahren trieb der EU-Gegner Farage die britischen Konservativen vor sich her. Jetzt wiederholt sich der Mechanismus. Die Torys springen unter Parteichefin Kemi Badenoch auf den Antiausländerkurs auf. Zur polarisierten Atmosphäre kommt die Anhäufung von gewaltbereiten Antiausländerdemonstrationen vor Hotels, in denen Flüchtlinge untergebracht sind.
Auslöser des rechtsrechten Trommelfeuers ist die wachsende Zahl von Migranten, die in Booten aus Frankreich über den Ärmelkanal kommen. In den ersten Monaten dieses Jahres waren es 21000 Personen. Nach der Landung in Großbritannien erhielte sie mehrheitlich Asyl. Die Ankündigung von Premierminister Starmer von der Labour Party, er werde die Schlepperorganisationen zerschlagen, blieb wirkungslos, genauso wie die Kriegsschiffe, die früher konservative Regierungen mobilisiert hatten.
Gegenüber einem Demagogen wie Farage, für den Donald Trump mit all seinem Zerstörungswerk am Rechtsstaat das Vorbild ist, wirkt der pragmatische britische Regierungschef Starmer so hilflos wie der wortgewaltige Präsident Macron bei den französischen Nachbarn.
ZUSATZINFOS
Das Gewicht der Rechtsrechten
Mit 30 Prozent bei Umfragen liegt die Reformpartei Nigel Farages vor der Labour Party (22 Prozent) und den Konservativen (18 Prozent). In dem 650 Abgeordnete zählenden Unterhaus verfügt die Rechtsaußenparten jedoch nur über 5 Sitze. Marine Le Pens Rassemblement Nationale kam 2014 auf 32 Prozent der Stimmen und verfügt über 143 Sitze unter 577 Abgeordneten.