Wirtschaftskrise, Boykott und Wahlen: Wende im Iran?
In einer theatralischen Geste zog Benjamin Netanyahu vor den Vereinten Nationen mit einem dicken Filzstift eine rote Linie unter die Comic-Zeichnung einer Bombe. Bis Mitte 2013 wird der Iran über genügend Nuklearmaterial verfügen, um zur Atommacht aufzusteigen, so die düstere Prognose des Israeli. Der Weg dorthin müsse rechtzeitig blockiert werden, mit allen Mitteln. Eine Show mit entdramatisierenden Konsequenzen: der angeblich schon diesen Herbst erforderliche Präventivschlag gegen den Iran, den Netanyahu bisher propagiert hat, ist damit vorläufig abgeblasen.
Amerikanische wie israelische Geheimdienste sind schon bisher auf der Bremse gestanden. Die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler und ein Computervirus namens Stuxnet, der von Israelis und Amerikanern eingeschleust wurde, haben dem iranischen Atomprogramm massiv zugesetzt. Dazu kommt: der Iran will zwar über alle Optionen verfügen. Einen politischen Beschluss Atombomben tatsächlich zu bauen gibt es in Teheran aber nicht. Der angesehene amerikanische Nuklearexperte David Albright argumentiert, dass große Mengen von um 20 Prozent angereichertem Uran aus der von internationalen Beobachtern kontrollierten Anlage von Natanz in das Bunkersystem von Fordow gebracht werden müssten, um Atomwaffen herzustellen. Fordow ist eine unterirdische Anlage in der Nähe der heiligen Stadt Quom. Die Anreicherung auf 90 Prozent zum waffenfähigen Spaltmaterial würde dort viele Monate dauern. Schon alleine der Transport würde sofort auffallen. Technisch vielleicht möglich, so David Albright, aber eben nicht passiert.
2007 hat die israelische Luftwaffe eine von nordkoreanischen Technikern in der syrischen Wüste errichtete Atomfabrik dem Erdboden gleich gemacht. Die Unterlagen hatten Mossad-Agenten aus der Wiener Wohnung eines syrischen Diplomaten entwendet. 1981 zerstörten israelische Kampfflugzeuge den irakischen Reaktor von Osirak. Die Tunnelsysteme des iranischen Fordow sind jedoch derart tief unter der Erde, dass sie eine israelische Attacke überleben könnten.
Die Folge wäre nach Ansicht David Albrights, dass die iranische Führung innerhalb von Stunden die bisher ausgebliebene Entscheidung treffen würde, die Bombe zu bauen. Nur die USA hätten dann noch die Fähigkeit durch einen lange andauernden Luftkrieg dank ihrer schweren Bunker brechenden Waffen den Weg des Iran zur Atommacht zumindest hinauszuzögern.Wahrscheinlich ist, dass Netanjahu hoffte durch die kriegerischen Töne während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes von den USA Zusicherungen für ein späteres militärisches Vorgehen zu erhalten. Allerdings zeigen die internationalen Sanktionen gegen den Iran erstmals Wirkung. Die iranischen Ölexporte haben sich halbiert. Eine katastrophale Wendung für ein Land, dessen Budget fast ausschließlich aus dem Ölgeschäft kommt. Galoppierende Inflation im Inneren und der massive Wertverfall der iranischen Währung sind die Folgen.
Dazu kommt eine tiefe innenpolitische Krise. Mahmud Ahmedinejad, dessen Amtszeit als Staatspräsident im nächsten Jahr abläuft, steht im Dauerclinch mit dem religiösen Führer Ali Khamenei. Just während Ahmedinejad in New York vor der UNO-Generalversammlung sprach, wurde in Teheran sein langjähriger Pressesprecher verhaftet. Der einflussreiche Spindoktor hatte den für Frauen verpflichtenden Tschador als uniranisches Importgut bezeichnet.Vieles deutet auf ein Comeback des früheren Präsidenten Haschemi Rafsandjani hin, eines der reichsten Männer des Landes. Vor zwei Jahren hat Rafsanjani Sympathien für die Demokratiebewegung geäußert. Beim Gipfel der Blockfreien in Teheran saß er letzten Monaten überraschenderweise neben dem Obersten Führer Ali Khamenei. Sollte der Iran das drakonische Sanktionsregime durch ernsthafte Verhandlungen lockern wollen, wäre Politveteran Rafsandschani der richtige Mann.
Ein militärischer Angriff von außen 2013 wird die iranischen Eliten dagegen zusammenschweißen. Ob dann ein Aufstieg des Landes zur Atommacht noch zu verhindern ist, bleibt fraglich. Von einem Gleichgewicht des Schreckens, wie heute zwischen Pakistan und Indien, wäre man im Nahen Osten selbst nach der ersten iranischen Bombe noch weit entfernt. Die ca.200 Atomsprengköpfe, die Israel gegenwärtig zur alleinigen Nuklearmacht der Region machen, haben auf Netanyahus Cartoon vor den Vereinten Nationen gefehlt. Einen Vorteil hat die Irandebatte dem israelischen Regierungschef vor der UNO gebracht: die Klagen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas über die fortgesetzte israelische Landnahme in den Palästinensergebieten interessierten kaum jemand.