Ohne Deal mit dem Iran droht ein Atomwettrüsten im Nahen Osten

  Am Kärntner Ring hat die Wiener Polizei die Barrieren abgebaut. Zwischen Grand Hotel und Hotel Imperial sind keine Demonstrationen mehr angesagt. Vor zehn Tagen ist die vorläufig letzte Verhandlungsrunde über die Wiederbelebung des Iran-Atomabkommens zu Ende gegangen. Ob die hohe  Diplomatie in den nächsten Tagen in den Hotels an der Ringstraße wieder einziehen wird oder nicht, wird eine Vorentscheidung für die Zukunft des Nahen Ostens sein. Daher an dieser Stelle aktuelle Überlegungen zu Diplomatie und politischer  Unberechenbarkeit in den USA und im Iran.  

  Weil sich die Iraner weigerten, mit den USA, die den Deal unter Trump in einem Akt der Willkür verlassen haben,  an einem Tisch zu sitzen, mussten die Europäer bei jedem Verhandlungsschritt von einem Hotel zum anderen mit der jeweils neuesten Botschaft marschieren. Imperial residierte die amerikanische Delegation unter Chefverhandler Bob Malley, einem erfahrenen  Nahostexperten. Im Grand Hotel waren die Iraner mit den verbliebenen Signatarmächten des Atomvertrages versammelt: Russland, Deutschland, Frankreich und China. Ein denkbar mühsamer Verhandlungsmodus, an dessen Ende  viele Diplomaten aber optimistisch waren, dass die meisten Hürden für ein Comeback des von Trump mutwillig demolierten Abkommens genommen sind. Aber eben nicht alle.

  In Washington hält man den Atem an, ob der Iran bei seinem harten aber grundsätzlich konstruktiven Verhandlungsstil bleibt. Die Resultate der Pendeldiplomatie quer über den Ring drohen durch ein politisches Erdbeben in Teheran zunichte gemacht zu werden. Der neu gewählte Präsident Ebrahim Raisi ist ein knallharter Hardliner, dem halbwegs normale Beziehungen der Islamischen Republik zum Rest der Welt deutlich weniger wichtig sind, als den konservativen Pragmatikern, die die letzten Jahre an der Regierung waren. Sollten die Verhandler in den nächsten Tagen von der Instruktionsreise in die Heimat nicht wieder an den Kärntner Ring in Wien zurückkehren, wäre das ein schlechtes Omen. Am 3.August ist die Amtseinführung Ebrahim Raisis. Bis dann müsste ein Deal unter Dach und Fach sein.

    Der Atomvertrag von 2015 sollte durch strenge internationalen Kontrollen verhindern, dass der Iran Atomwaffen baut. Die Obama-Administration hat unglaubliche Energie in die zuerst geheim am Golf und dann öffentlich in Wien laufenden Verhandlungen investiert, um eine kriegerische Eskalation zwischen dem Iran auf der einen Seite, Israel und den Saudis auf der anderen Seite zu stoppen. Die Wahl Trumps und dann sein verantwortungsloser Zerstörungsakt gegen den Deal  waren ein erstes Lehrbuchbeispiel, wie große politische Verschiebungen diplomatisch ausgeklügelte Vertragswerke zunichte machen können.  Jetzt droht mit dem Umschwung zur Totalkontrolle der Hardliner in Teheran ein ähnlicher Schlag aus dem Iran.

Der Iran ist ein Gottesstaat. Das letzte Wort hat  nicht der Präsident, sondern der oberste geistliche Revolutionsführer, Ali Chameini. Der religiöse Würdenträger steht über den weltlichen Politikern. Der greise Führer hat immer behauptet, dass der Iran aus religiösen Gründen keine Atomwaffen bauen will. Aber religiöse Dogmen sind flexibel. Der Revolutionsführer hat gleichzeitig auch zugelassen, das zuletzt mehrere Kilogramm Uran so stark angereichert wurden, dass eigentlich nur militärische Absichten dahinter stecken können.

 Der zukünftige Präsident Raisi ist eine extrem polarisierende Persönlichkeit. Vor 30 Jahren war er an führender Stelle an Sondertribunalen beteiligt, die tausende Todesurteile gegen Linke und Anhänger der linksislamischen Rebellenorganisation Volksmodjahedin verhängt haben. Menschenrechtsorganisationen sagen, der zukünftige Präsident hat aus der Zeit der Todestribunale 5000 Menschenleben auf dem Gewissen.

Ein endgültiges Aus des Atomabkommen würde schlagartig die Spannungen im Nahen Osten erhöhen. Israel war immer schon misstrauisch, dass ein Kompromiss mit der Islamischen Republik möglich ist und hat den Deal  abgelehnt.  Bei einem endgültigen Scheitern könnte die Regierung in Jerusalem überlegen militärisch gegen iranische Atomanlagen vorzugehen, weil Israel die einzige Atommacht in der Region bleiben will und es immer wieder Drohungen aus Teheran gibt. Die Saudis sind in der arabischen Welt die großen Konkurrenten des Iran. Sie könnten verleitet sein ihrerseits Atomwaffen zu bauen.

Ein Rüstungswettlauf mit Atomwaffen im Nahen Osten, eine der instabilsten Regionen der Welt,  wäre die Folge. Weder die Europäer, noch Russland , noch die Biden Administration haben ein Interessen an einer derartigen Destabilisierung. Aber Trump hat mit dem Versuch begonnen, internationale Übereinkommen zu zerstören. Jetzt ist es sehr schwer, den Geist wieder zurück in die Flasche zu bekommen.    

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