Edward Snowden ist ein sympathischer Whistleblower. Der junge Computerfachmann hat bei einer Außenfirma der National Security Agency NSA in Hawai gutes Geld verdiente. Er gibt alles auf, weil er in keinem Überwachungsstaat leben will, erzählt er Glenn Greenwald vom britischen Guardian. Ein klassischer Fall von zivilem Ungehorsam. Eine Haltung, der die amerikanische Demokratie viel verdankt, verteidigt die New York Times den Aufdecker gegen das Geschrei vom Verrat aus der konservativen Ecke.
Millionen und Abermillionen von Daten sind von den Telefongesellschaften direkt in die Server des Geheimdienstes geflossen. Wie umfassend auch Emails und Postings über das von Ed Snowden aufgedeckte Informationssystem namens Prism umgeleitet wurden, ist unklar. Aber die Giganten des Internets sind in das Geheimdienstnetzwerk eingebunden. Gibt das zuständige Sondergericht sein O.K., dann läuft bei jedem Click ein Computer der NSA mit.
Snowden ist kein linker Rabauke wie einst Phillipe Agee. In den Siebzigerjahren hatte Agee nach seinem Ausstieg aus der Central Intelligence Agency dutzende Agenten rund um den Erdball enttarnte. Was ihn empörte waren Mordanschläge und Erpressung gegen linke Aktivisten in Lateinamerika. Im Kuba Fidel Castros, der vergiftete Zigarren des CIA überlebt hat, wurde Phillipe Agee mit offenen Armen aufgenommen.
Ed Snowden bewegt, dass keine Facebook-Eintragung und kein Tweet vor der Absaugmaschinerie der NSA sicher ist. Er hat sich ausgerechnet China als Schutzmacht auserkoren, wo Zensur zum Staatsprinzip gehört. Cyberangriffe werden auf beiden Seiten gemeldet. In der Welt der Geheimdienste führt die Aufdeckertradition Amerikas ganz so wie in der Zeit des Kalten Krieges zu zweifelhaften Allianzen.
Die NSA, in der Galaxie der amerikanischen Nachrichtendienste für das aufwendige Abhören globaler Kommunikationsverbindungen zuständig, hat der Welt einen ziemlich zivilisierten Geheimdienstskandal geliefert. Soweit wir wissen, wurde niemand ermordet oder entführt. Edward Snowden deckt nicht auf, dass Unschuldige verfolgt oder gefoltert wurden. Was in den USA dank vieler Milliarden Dollar auf das technologische Niveau des 21.Jahrhunderts gehoben wurde, ist die moderne Version der Bespitzelung, die Geheimdienste seit jeher praktizieren. Guantanamo oder die außergerichtliche Tötung von Dschihadisten durch Drohnen im Antiterrorkampf sind die dramatischeren Verstöße gegen den Rechtsstaat.
Was die Europäer empört, sind die Beschwichtigungsversuche der US-Regierung, wonach Rechte amerikanischer Bürger sowieso nicht verletzt würden. Was im Umkehrschluss bedeutet: um die Privatsphäre von Nichtamerikanern kümmert man sich keinen Deut. Eine Art Zonenaufteilung des Globus zeigt besonders intensive Datenabsaugaktivitäten der NSA in Pakistan, Afghanistan, der arabischen Welt und Deutschland. Auch andere EU-Staaten sind betroffen. Aber Le Monde fand heraus, dass der französische Staatssicherheitsdienst DGSE außerhalb des Territoriums der Republik das Internet genauso abgrast. Die parlamentarischen Aufsichtsorgane waren nicht informiert. Der Guardian zeigt das Hauptquartier des britischen Pendants der NSA mit der sperrigen Abkürzung GCHQ: das Governement Communications Headquaters in Gloucestershire nordwestlich von London ist mit der US-Spionagewelt eng verbunden.
Wirklich neu können die Enthüllungen Edward Snowdens für Europas Staatsspitzen nicht sein.
Trotzdem ist die Aufregung echt. Das High Tech Überwachungsmonster führt dem alten Kontinent die technische und sicherheitspolitische Überlegenheit des großen Bruders USA schmerzlich vor Augen. Alle Internetfirmen mit globaler Ausstrahlung sind in Amerika entstanden und werden von dort aus betrieben.
Im Abhörtrip der NSA kombiniert sich der technische Innovationspool Amerikas mit dem globalen Wirkungsbereich der Supermacht. Mithalten kann niemand in der Welt.
Entstanden ist der übermächtigen Sicherheitskomplex der USA im Kalten Krieg. Ausgebaut wurde er nach 9/11. Die Exzesse kontrollieren kann nur die amerikanische Demokratie selbst. Die Nachrichtenagentur Reuters fand heraus, dass mehr Amerikaner den Aufdecker Ed Snowden als Patrioten ansehen, denn als Verräter. Trotz tagelangen Gegenfeuers der Regierung. Das Time Magazine berichtet 54 Prozent der Amerikaner sind der Meinung Edward Snowden hat richtig gehandelt. Die Zustimmungsrate ist höher als jene des Kongresses oder des Präsidenten, freut sich der amerikanische Guardian-Reporter Glenn Greenwald, der mit dem Scoop berühmt wurde. Beruhigend.