Das Herzschlagfinale um Zypern hat den Europäern viel erspart. Es muss nicht mehr darum gerungen werden, ob sich eine Währungsunion den Verlust eines angeschlagenen Mitglieds leisten kann. An der europäischen Einlagensicherung wurde anfangs zwar gerüttelt, aber sie hält. Es sollte möglich sein Banken auf sozial verträgliche Art zuzusperren. Genau so sollte in Zukunft in der EU die Bankenunion funktionieren. Nur eben automatisch und ohne nationalistische Begleitmusik.
Denn Zypern ist nur der vorläufige Endpunkt einer längeren Entwicklung. Die levantinische Konfusion lässt es leicht vergessen: panische Menschenschlagen vor Bankschaltern sah man in Europa das erste Mal im kühlen Norden. Anfang 2008 hoben Kunden der angeschlagenen Northern Rock Bank in Großbritannien innerhalb von Tagen zwei Milliarden Pfund ab. Die Bank of England ließ tonnenweise Pfundnoten in die Filialen bringen.
In Irland, das als aktuelles EU-Vorsitzland in den Zypernverhandlungen hautnah mit dabei ist, erinnert man sich an eine Nacht im September 2008. Das Land stand vor dem finanziellen Meltdown. Es begann in ganz Europa die Welle von Notverstaatlichungen von Banken, die seither nicht mehr abreißt.
Auch Geopolitik war im Spiel: nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers in den USA wollten die Europäer die internationale Finanzwelt nach ihren Vorstellungen zähmen. Weniger Macht für die amerikanische Wall Street, mehr Einfluss für staatliche Aufpasser aus Europa war die Devise. Daraus wurde vorläufig nichts.
Der Preis für die Bankenrettung in Irland war die Finanzkrise des Staates, die das Land unter den Euro-Rettungsschirm zwang. In Dublin werben Auswanderungsbüros junge Leute für das Abenteuer eines Lebens in Australien, Kanada und den USA an. In weniger glücklichen Ländern wäre das der Job von Schleppern. Der Bevölkerungstransfers hilft den gesellschaftlichen Druck zu mildern.
Die Wut der Bürger bleibt verhalten. Die Straflosigkeit der Banker und Politiker von gestern ist das große Ärgernis. Ein Taxifahrer wünscht sich den Terrorismus der IRA zurück. Als Strafe für die Politikerkaste des eigenen Landes.
Für die zypriotischen Demonstranten war dagegen Europa schuld an der Misere. Wie schon zuvor in Athen und Lissabon brennt die Europafahne. Angela Merkel, die mächtigste Politikerin des Kontinents, ist in Südeuropa zur Feindfigur geworden. Ein Kolumnist der spanischen Tageszeitung El Pais darf phantasieren, die deutsche Kanzlerin führe Krieg gegen Europa um wirtschaftlichen Lebensraum so wie einst Adolf Hitler. Das Blatt zieht die Tirade schließlich zurück. In Zypern zirkuliert die bequeme Verschwörungstheorie, dass Berlin das erfolgreiche Geschäftsmodell der Insel ruinieren will, um selbst russische Oligarchengelder nach Deutschland zu holen.
Tatsächlich ist es der gegenwärtige europäische Entscheidungsprozess, der die nationalistischsten Reflexe befeuert. Warum bestimmt eigentlich die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, ob zypriotische Pensionsfonds verpfändet werden? Warum hat der deutsche Finanzminister das letzte Wort über das Überleben zypriotischer Banken?
Die gefährliche Konstellation ist die logische Folge des intergouvernementalen Entscheidungsprozesses, in dem Regierungen und Parlamente der zum gegebenen Zeitpunkt wirtschaftlich starken Länder über das Schicksal anderer entscheiden, nicht europäisch legitimierte Politiker.
Als Glückfall erweist sich Herman van Rompuy. Der EU-Ratspräsidenten, geprägt von der Schule belgischer Kompromisse, schaffte es in der entscheidenden letzten Nacht trotz aller Ultimaten und nationaler Eitelkeiten die Brücken zum Kompromiss zu bauen.
Der Fall Zypern zeugt von der tiefen politischen Verwirrung auch in Europas Linken. Da prangert die linksalternative Syriza Allianz in Griechenland, in den Meinungsumfragen inzwischen erste Partei des Landes, den angeblichen Diebstahl an den zypriotischen Sparern an, so als ob Umverteilung nicht im eigenen Parteiprogramm stünde. Frankreichs Linkspartei sucht in der patriotischen Mobilisierung gegen Europa ein Rezept gegen die Finanzkrise.
Bis vor wenigen Wochen hatte Zypern den einzigen kommunistischen Präsidenten Europas. Die Weigerung des kauzigen Demetris Chrstofias Steuerprivilegien der Geldjongleure in Frage zu stellen, ist ein Grund für die Misere. Umso lautstarker wettert die AKEL, die traditionsreiche zypriotische KP, jetzt von der bequemen Oppositionsbank in Nicosia aus gegen Deutschland und die Troika.
An Zypern ein Exempel zu statuieren und auf dem ursprünglichen Plan der Finanzminister zu beharren, wie das Wolfgang Schäuble wollte, wäre politisch fatal gewesen. Nicht nur weil kleine Völker sich nicht völlig überfahren fühlen sollen. Dass plötzlich Russland ins Spiel kommt, ebenso wie die britische Militärbasen oder türkische und israelische Ansprüche auf die Gasreserven rund um die Insel, sollte ein Weckruf sein: das Schicksal von Banken bestimmt auch geopolitischen Einfluss. Das gilt im östlichen Mittelmeer ganz besonders. Der Euro hätte auch Ausscheiden Zyperns überlebt. Der Anspruch der Europäer strategisch und nicht nur buchhalterisch zu agieren kaum.