Europawahlen 2019: Ergebnis und Analyse – MiÖ, 31.05.2019

EU-Wahlergebnis, MiÖ, 31.5.2019

Die Europawahlen sind fast eine Woche vorbei. In Österreich waren das gute Ergebnis für die ÖVP und das Comeback der Grünen die hervorstechendsten Ergebnisse, die rundum die Abwahl der Regierung Kurz ausführlich diskutiert worden sind. Welche Bilanz lässt sich mit etwas Distanz auf europäischer Ebene ziehen? In verschiedenen Ländern hat es ja  Erfolge von rechtspopulistischen Parteien gegeben. War das wirklich der Durchmarsch, den viele erwartet oder auch befürchtet haben?

Einen solchen Durchmarsch hat es nicht gegeben. Die Rechtsaußenparteien stellen gemeinsam etwas mehr als ein Viertel der Europaabgeordneten. Das heisst: sie haben keine Chance das nächste Europaparlament zu kontrollieren, selbst wenn sie sich zusammentun, was ja sehr fraglich ist.

Aber die Rechtsaußenparteien sind deutlich gestärkt. Man darf das nicht kleinreden. In drei großen EU-Staaten sind Parteien an erster Stelle gelandet, die mit der Union nichts zu tun haben wollen, austreten wollen oder sie zumindest schwächen wollen: in Italien, in Großbritannien und auch in Frankreich, wo  Marine Le Pen mit ihrem Rassemblement National knapp vorne.

Trotz vieler Skandale, das Ibizavideo in Österreich war ja nur einer davon.

Es  zeigt sich in den meisten EU-Staaten ein solider Block von Wählerinnen und Wählern, die Rechtsaussenpartein  wählen, egal was passiert. Von 10 Prozent aufwärts bis zu 30 Prozent im Fall Italiens. Das ist inzwischen Teil der politischen Realität, mit der man umgehen muss.

Das ist ein Phänomen, das es auch in den USA gibt,  wo Trump auch auf bedingungslose Zustimmung seiner Fans zählen kann, um die 25 oder 30  Prozent der Wähler,  egal was er tut und was er sagt.

Überall in Europa ist die Wahlbeteiligung gestiegen bei diesen Europawahlen. In Österreich betrug sie fast 60 Prozent. Auch in anderen EU-Staaten ist sie gestiegen. Was kann man aus diesem Trend ablesen?

Es hat bei diesen  Europawahlen  eine echte Polarisierung gegeben, europaweit. Es war klar: welches Lager will die Union erhalten und welches Lager will sie schwächen oder überhaupt auflösen.

 Das war anders als früher, wo Europawahlen oft eine Aneinanderreihung von nationalen Wahlgängen waren, bei denen es vor allem um Innenpolitik gegangen ist.

Geschwächt durch diese Polarisierung sind die traditionellen Parteien der Mitte, EVP und Sozialdemokraten, die gemeinsam keine Mehrheit mehr haben. Gestärkt sind sehr engagierten Proeuropäer, die Grünen und die Liberalen und die EU-Gegner.

Und was es auch gibt, das ist eine Balkanisierung im Europaparlament. Es gibt viel mehr kleinere Parteien aus den verschiedensten Ländern, die keine wirklich Bindung an die großen Fraktionen haben.

Diese Balkanisierung wird die Entscheidungsfindung nicht einfacher machen, in diesem riesigen Parlament, das jetzt noch vielfältiger ist als früher. Aber vielleicht ist das eine Wiederspiegelung der Vielfalt und der Widersprüche im europäischen Wahlvolk.

Von manchen ist ja die Gefahr an die Wand gemalt worden, dass die EU zerfallen könnte. Ist dieses Risiko jetzt geringer geworden?

Es ist vielleicht eine Atempause. Aber die große Auseinandersetzung, wohin Europa sich entwickelt in der neuen Weltordnung, in der frühere Allianzen nicht mehr viel wert sind, die geht total weiter.

Nur: wohin  Europa geht, das hängt von den Mitgliedsstaaten in viel höherem Ausmaß ab, als vom Europaparlament.

Es ist ja  unrichtig, dass es in  Brüssel irgendeinen Superstaat gibt, der den Regierungen etwas vorschreibt. Das Gegenteil ist wahr, die nationalen Regierungschefs sind viel mächtiger als die Kommission und das Parlament, auch wenn sie das nicht gerne zugeben, wenn man irgendetwas auf Brüssel abschieben will.

Und bei den Regierungen gibt es einen Trend zur Renationalisierung. Bereitschaft geringer mit der Integration weiter zu machen.

Vergessen wir nicht: gefährlichste  Schritt ist aus Mitgliedsstaten gekommen, Brexit-Referendum der Regierung Cameron.

In Zukunft andere ebenfalls  unbedachte Schritte aus den Nationalstaaten nicht auszuschließen. Damit umzugehen ist das schwierigste, das sieht man am Brexit.

In den nächsten Monaten steht die Neubesetzung von wichtigen Toppositionen in der EU an. Woraus sollte man da besonders achten?

Das wird  ein großes Gerangel mit vielen Höhen und Tiefen. Davon soll man sich nicht erschrecken lassen. Auch in den Mitgliedsstaaten dauern ja Koalitionsverhandlungen nach Wahlen oft sehr lange, und was jetzt begonnen hat, das ist so etwas wie Koalitionsverhandlungen. Nur viel komplizierter als nationale Koalitionsverhandlungen, weil es die Parteienfamilien gibt, es gibt Nord Süd, Ost West, die Geschlechterverteilung und nationale Sensibilitäten, die alle berücksichtigt werden wollen.

Die beiden wichtigsten Positionen, das ist der Kommissionspräsident oder die Kommissionspräsidentin, das ist der Regierungschef der Union.  Der Kommissionspräsident macht die Gesetzesvorschläge, er hat die EU-Bürokratie hinter sich.

Und zweitens: der Zentralbankchef. Und der Zentralbankchef wacht über den Euro, das allerwichtigste Gemeinschaftsprojekt der Europäer.

In den nächsten Wochen werden diese Verhandlungen laufen. Da wird sich auch die neue österreichische Bundesregierung, Kanzlerin Bierlein und Außenminister Schallenberg,  einbringen.

Eines gilt unverändert: es passiert nichts in Brüssel, ohne dass Ö wie alle MS voll eingebunden sind.

Was ist eigentlich vom Konzept der europäischen Spitzenkandidaten geblieben, die von den Parteienfamilien aufgestellt wurden? Der Sieger sollte ja Kommissionspräsident werden.

Die Idee ist nicht verschwunden, das Europaparlament beharrt darauf, zu recht. Aber es hat ja niemand eine absolute Mehrheit gewonnen. Und dann ist es in der EU genauso wie in nationalen Parlamenten, dann müssen Koalitionen gebildet werden.

Nur in der EU spielen in dieser Koalitionsbildung eben die Regierungschefs eine große Rolle. Weil zwar das Europaparlament den Kommissionspräsident wählt, aber vorgeschlagen muss er oder sie von den Regierungschefs werden. Mit qualifizierter Mehrheit.  Ohne absolute Mehrheit im Europaparlament heisst es: es muss viele Absprachen und Deals geben, bevor der Prozess in Gang gesetzt werden kann.