Die ganze Welt hat sich diese Woche an die Niederschlagung der großen Demokratiebewegung in China vor 30 Jahren erinnert. Ist irgendetwas davon in die Volksrepublik selbst durchgedrungen?
Es ist wenig durchgedrungen. Als ich gemeinsam mit Helmut Opletal die Reportage 1999 in Peking gemacht habe, da war die Erinnerung noch frisch. Die Behörden haben inzwischen Kontrolle und Zensur Schritt für Schritt gesteigert, vor allem die Internetzensur. Die technischen Möglichkeiten sind inzwischen riesig.
Journalistenkollegen, die am Tag selbst in Peking unterwegs war im Taxi sagt, die Taxifahrer wissen alle was das für ein Tag war. Aber reden will niemand, weil in vielen Taxis Kameras angebracht sind, die alle Gespräche in die Taxizentrale übertragen.
Im Internet gibt es ein Katz und Mausspiel mit der Zensur. Das Datum der Niederschlagung ist der 4.Juni. Diese Zahl allein 0406 ist ein Tabu. Plötzlich sind im chinesischen Internet viele Fotos von Autonummern gepostet worden, die diese Zahl enthalten. Bis auch diese Fotos zensuriert wurden.
Das zeigt, wie große die Sorge der Mächtigen ist, dass die Unzufriedenheit der Bürger sich neuerlich ein Ventil schaffen könnte.
In Taiwan und vor allem in Hongkong, also außerhalb des direkten Machtzugriffs der Kommunistischen Partei Chinas, hat es große Gedenkveranstaltungen gegeben. Wie groß sind die Chancen, dass die demokratische Tradition auf diese Weise doch weiterlebt?
Klar, die demokratischen Traditionen sind in Hongkong sehr lebendig und in Taiwan auch. In der Zeit von Tiananmen vor 30 Jahren war Taiwan ja auch ein autoritärer Einparteienstaat, regiert von der Kuomintang. Anders als in der Volksrepublik hat es danach eine Demokratisierung gegeben und heute Taiwan eine lebendige Demokratie.
Aber Taiwan steht unter Druck von China, das einfach viel größer und viel mächtiger ist.
In Hongkong ist dieser Druck noch stärker spürbar, weil Hongkong Teil der Volksrepublik ist, nur eben mit einem Sonderstatus. Peking greift immer mehr ein in Hongkong und viele machen sich Sorgen um ihre Freiheiten, das hat man auch bei der riesigen Demonstration zum Andenken an die niedergeschlagene Demokratiebewegung gesehen.
Die Bürger aus China interessieren sich sehr dafür, was in Hongkong geschrieben und gesagt wird. Das sieht man an den Touristen aus der Volksrepublik, die nach Hongkong kommen. Zu den ersten Dingen, die sie machen, gehört der Besuch in einer Buchhandlung, in der es kritische Bücher über die Parteiführung in Peking gibt.
China ist international immer stärker präsent. Chinesische Investoren interessieren sich für europäische Firmen und natürlich gibt es jedes Jahr mehr chinesische Touristen, auch in Österreich. Haben diese Besucher aus China eine Ahnung, was in ihrem Land vor 30 Jahren passiert ist?
Eine Ahnung haben sie sicher. Aber wahrscheinlich ist diese Ahnung vage. Und vor allem im Ausland oder gegenüber Ausländern werden Touristen meist ihren Patriotismus in den Vordergrund stellen. Und das heißt Kritik von außen, etwa aus den USA oder aus Europa, wird man als unangenehm empfinden und nicht gerne hören.
Dazu kommt: es gibt Untersuchungen in China selbst, wonach viele Menschen, die anfangs für die Demokratiebewegung Sympathien gehegt haben, jetzt sagen: nach der Niederschlagung hat eine wirtschaftliche Aufwärtsbewegung begonnen. Vielleicht war das nötig, damit es uns jetzt besser geht.
Die offizielle Bezeichnung hat sich ja geändert für die Ereignisse von damals. Man behauptet nicht mehr, dass das ein konterrevolutionärer Umsturzversuch war. Die offizielle Bezeichnung jetzt lautet meist: das waren politische Unruhen.
Vor 30 Jahren waren das in Peking nicht nur Studenten, die auf der Straße waren, schon gar nicht Leute, die eine Konterrevolution wollten, sondern es hat breite Unterstützung in der Bevölkerung gegeben für demokratische Freiheiten und vor allem für Pressefreiheit. Die Bewegung war nicht auf Peking beschränkt. Es hat auch in vielen andere Städten Chinas ähnliche Bewegungen gegeben.
Interessant ist, dass sich in Hongkong pensionierte hohe chinesische Militärs zu Wort gemeldet haben, die sagen, für das chinesische Militär ist das ein Schandfleck. Weil die Soldaten auf das eigene Volk geschossen haben, auf unbewaffnete Bürger mit Panzer loszugehen, das widerspricht der Soldatenehre jeder Armee. Das werde von vielen Offizieren auch so empfunden. Aber die sind natürlich anonym und sagen das nur einer Zeitung in Hongkong..
Chinas Rolle in der Welt wird wächst, auch das Selbstbewusstsein der Kommunistischen Partei ist größer geworden. Ist das eine Bedrohung für die westlichen Demokratien?
China will nicht die Welt kontrollieren und will auch das chinesische System nicht in andere Länder exportieren. Insofern kann man sagen: das ist anders als im Kalten Krieg und ein Unterschied zu dem Konflikt der politischen Systeme, den es damals gegeben hat.
Aber China vertritt natürlich seine Interessen, und oft auch ganz massiv. An westlichen Universitäten werden chinesische Studenten dazu angehalten gegen den Dalai Lama aufzutreten, weil Tibet ein großes Tabuthema ist. Oder die Universitäten werden gedrängt nicht über das Schicksal der islamischen Minderheit der Uiguren zu sprechen, weil das Peking nicht passt.
Chinesische Unternehmen in der Wirtschaft oder Institute an den Universitäten sollten natürlich als Partner akzeptiert werden. Das ist unvermeidlich und ist eine Folge des Aufstiegs Chinas zur Weltmacht. Aber den Mund verbieten sollte sich absolut niemand lassen von Tabuvorstellungen der chinesischen Führung.