Europas Krisen und Chinas Selbstbewusstsein, 25.10.2017

Prag und Barcelona liegen 1700 Kilometer voneinander entfernt. Aus europäischer Perspektive ist das viel. In der zunehmend skeptischen Sicht Asiens auf Europa liegen der Zusammenstoß der Nationalismen in Spanien und der Triumph des prorussischen Milliardärs Andrej Babis  in Tschechien jedoch eng nebeneinander. Asien blickt gebannt nach Peking, wo die Kommunistische Partei Chinas auf ihrem Parteitag die Erfolge eines autoritären Regierungssystems feiert. Das multinationale Europa zerreißt sich dagegen gerade selbst.
Zu den Warnsignalen gehören der Brexit und die Gefährdung des Rechtsstaates in Polen und Ungarn. Der britische Observer zählt auch das österreichische Wahlergebnis zu den Krisensymptomen. Die „zynische Taktik“ des jungen konservativen Parteiführers Sebastian Kurz habe die „extremistische, ausländerfeindliche Sicht“ der freiheitlichen Rechtsaußenpartei kopiert, urteilt das liberale Wochenblatt.  Dass es anders als im Jahr 2000 bei einem Regierungsbeitritt der Freiheitlichen keine Sanktionen geben wird, sei ein Zeichen der Resignation vor dem Aufstieg der Rechtsrechten.
Die Brandherde sind unterschiedlich gefährlich. In Österreich und Tschechien war das Regierungsmodell der Mittelinkskoalitionen  verbraucht. Eine Politikerkaste, die sich im Kreis dreht, landet in der Antiausländer-Sackgasse der Demagogen. Tschechien hat die Arbeitslosigkeit besiegt, besser als Österreich und Deutschland. Die Flüchtlingskrise machte vor den Grenzen halt. Trotzdem wurde die proeuropäische Sozialdemokratie vom Demagogen Babis, einer Art böhmischem Berlusconi, erdrückt.
In Spanien kommt zur Krise der Staatsparteien der Nationalismus der Regionen hinzu. Rajoys konservative Volkspartei war durch  Korruptionsskandale lahmgelegt. Die Wahlen 2015 und 2016 brachten keine Lösung. Die Protestpartei Podemos verpasste den Durchbruch in die Regierung und die sozialdemokratische PSOE stürzte ab.  Die spanischen Eliten ließen den separatistischen Nationalismus der Katalanen wuchern, bis es zur Staatskrise kam, obwohl von nationaler Unterdrückung seit dem Ende des Franco-Regimes keine Rede mehr sein kann.
Szenenwechsel nach Brüssel zum EU-Gipfel letzte Woche.  Spanien, Tschechien oder Österreich waren nur am Rande Themen. Dafür präsentierte Kommissionspräsident   Jean Claude-Juncker den verdutzten Kolleginnen und Kollegen eine Liste von Gipfelbeschlüssen großer Tragweite, die nie umgesetzt wurden. Ein Nothilfefonds für Afrika ist darunter, der helfen soll, die Migrationsströme zu stoppen. Der Juncker-Investitionsfonds müsste längst aufgestockt sein, um die Konjunktur zu beleben und Arbeitsplätze zu schaffen. Auch eine Begrenzung des Schusswaffenhandels in Europa und bessere Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen blieben im europäischen Gesetzgebungsverfahren stecken. Die Staats- und Regierungschefs sind nicht willig oder nicht fähig, eigene Beschlüsse auch umzusetzen.
Es handelt sich um die gleichen traditionellen Parteien, die in Brüssel und in den nationalen Hauptstädten versagen. Nationale Kurzsichtigkeit und Entscheidungsschwäche hinterlassen ein Vakuum, in das nationalistische Demagogen mit einer Botschaft des Zerfalls vorstoßen. Der einzige Politiker, der gegenhält, ist Frankreichs Emmanuel Macron. Mit seiner Vision eines Vereinten Europas, das die Bürger schützt und das Modell einer multinationalen Demokratie in der globalisierten Welt verteidigt, steht der junge Präsident aber allein auf weiter Flur.
Als Alternative bietet sich überraschend deutlich China an. Der Parteitag in Peking zeigt dieser Tage das Schauspiel einer vor Selbstbewusstsein  strotzenden Regierungspartei. Die Delegierten hoben Parteichef Xi Jinping  auf die gleiche Stufe, wie Staatsgründer Mao Tsetung und  Reformer Deng Xiaoping. Die Xi Jinping-Ideen sind die ideologische Grundlage des neuen Chinas, das sich anschickt Weltpolitik zu machen. Knapp 30 Jahre nach dem Ende der KPdSU in Moskau präsentiert sich eine Kommunistische Partei als  autoritäres Regierungsmodell, das dem Westen überlegen ist.
Xi Jinping ist ein roter Prinz. Sein Vater war Mitstreiter Maos, der aber in Ungnade gefallen ist und verhaftet wurde. Xi hat erlebt, was schief laufen kann in einer Einparteiendiktatur. Trotzdem verstärkt er   politische Repression und Zensur. Das chinesische Modell heißt politische Stabilität um jeden Preis, damit der marktwirtschaftliche Aufstieg weitergeht. Bislang ist das erfolgreich.
Historiker diskutieren, ob wir am Vorabend eines autoritären Zeitalters stehen, weil die liberale Demokratie mit den globalen Herausforderungen nicht fertig wird.  Die Zeit läuft ab, das Gegenteil zu beweisen.

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