Kurz, Strache, das neue Österreich und die EU, Falter, 18.10.2017

Zuletzt waren es nur mehr sieben sozialdemokratische Regierungschefs, die sich in Brüssel fraktionell vor EU-Gipfeln besprachen. Italien, Schweden, Portugal, Rumänien, die Slowakei und Malta sind Teil des linken Klubs. Christian Kern wird als Vertreter eines wirtschaftlich starken Landes, gut vernetzt mit dem Nachbarn Deutschland, fehlen. Viel Einfluss hat Europas Linke nicht mehr.
Die Chefs der Europäischen Volkspartei dominieren die Meinungsbildung. Sebastian Kurz gilt dort als Star, denn mit seiner One-Man-Show hat er die lahme österreichische Bruderpartei ganz nach vorne katapultiert. Das Kunststück gelang mit Hilfe von Ideengut aus der FPÖ. Jetzt will Strache regieren. Aber eine Regierungspartei, die mit den Rechtsextremen  Le Pen und Wilders eine Fraktion bildet, hat es  noch nie gegeben.
Sebastian Kurz ist in Brüssel aufgefallen. Frankreichs Ex-Außenminister Laurent Fabius, ein Sozialist, erinnert sich im Falter-Interview, an den jungen Mann als „sehr guten Kommunikator und jemand, der Dinge angeht.“ Vom Mainstream sei Kurz bei den gemeinsamen Außenministersitzungen nie abgewichen. „Österreich gehört traditionell zur proeuropäischen Ländergruppe.“ Aber wird sich durch den Einfluss freiheitlicher Ideen etwas ändern?.
Klar ist: Sanktionen wie gegen die Schüssel-Haider-Regierung, wird es nicht geben. Zu EU-Verfahren kommt es nur, wenn die Unabhängigkeit der Gerichte angetastet wird, sagt Fabius, der seit 2016 Präsident des französischen Verfassungsgerichts ist. Ein solcher Schritt steht in Österreich nicht zur Debatte.
Aber ist es denkbar, dass sich Österreich den Visegrad-Staaten anschließt, wie Heinz-Christian Strache verlangt? Eine Annäherung an Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei wäre eine Abkehr von der Westorientierung Österreichs, die seit dem EU-Beitritt 1994 gilt. Was die vier osteuropäischen Staaten eint, ist das Misstrauen gegen alles, was aus Westeuropa kommt. Tonangebend sind die Nationalisten Orban und Kaczynski, die ihr autoritäres Modell als Alternative zur liberalen Demokratie verstehen.
„Änderungswünsche in der EU sind legitim,“ sagt Fabius, der als sozialistischer Politiker einst das Nein Frankreichs zur EU-Verfassung erwirkt hat. „Die Grundfrage ist, ob man Europa als den natürlichen Rahmen ansieht, sich zu schützen und  weiter zu entwickeln?  Oder ob man Europa zerschlagen will, damit jeder seine eigenen Wege geht? Als europäischer Bürger kann ich nur hoffen, dass Österreich an seiner Entscheidung für Europa festhält.“
In der Zeit von Schüssel und Haider reichte eine Präambel, um das Land auf europäischem Kurs zu halten. Heute ist die Situation komplizierter. In die österreichische Ratspräsidentschaft 2018 fällt die Schlussphase der Brexit-Verhandlungen. Frankreichs Präsident Emanuel Macron drängt auf eine Reform nach Haupt und Gliedern. Ein Kerneuropa mit gemeinsamen Finanzen, einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und politische Integration schwebt dem Franzosen vor. Scheitert er, dann warten Le Pen und Melenchon, die Vertreter eines rechten und eines linken Nationalismus, auf ihre Chance. Es wäre das Ende der Integration.
Wenn sich Österreich unter Sebastian Kurz auf die Seite der Macron-Befürworter stellt, trotz des Rechtsrucks im Land, wäre das Signal europaweit vernehmbar. Entscheidet er sich für eine Annäherung an Budapest und Warschau, bekämen die Befürworter eines autoritären Chauvinismus Aufwind. In Deutschland verfolgen die Konservativen mit Argusaugen, welcher Weg in Wien erfolgreich ist. Die zukünftige Regierung Kurz wird europäische Weichen stellen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*