Reiss Christl (ORF)
Herr Löw, wir haben gehört, das EU-Parlament, das diesmal eine wichtige
Rolle spielt bei der Umsetzung dessen, worüber die 27 Staats-und
Regierungschefs beraten. Wir haben auch gehört, dass Parlamentspräsident
Martin Schulz mit einem Veto des Parlaments droht. Damit wäre ja der
EU-Haushaltsgipfel Nummer zwei wohl gescheitert.
Löw Raimund (ORF)
Damit wäre er gescheitert, denn nach dem Reformvertrag muss das Europäische
Parlament einem Langzeitbudget der EU zustimmen. Wenn es diese Zustimmung
nicht gibt, dann fällt diese Einigung und dann ist nach den Regeln der EU
sind die früheren, vorangegangen Budgets Budgetjahre die Grundlage, es
werden die früheren Budgets fortgeschrieben. Ob es wirklich dazu kommt, das
ist schwer zu sagen. Tatsache ist, die Europaabgeordneten schießen aus
allen Rohren und zwar die Europaabgeordneten aus allen großen
Parteienfamilien. Nicht nur Schulz, auch der ÖVP-Abgeordnete Karas äußert
sich ähnlich, auch der SPÖ-Abgeordnete Swoboda. Aber wenn es wirklich dazu
käme, wäre das eine kleine Revolution und ob sich die Abgeordneten dazu
wirklich durchringen werden, wird man erst sehen. Vergessen wir nicht,
viele Mandatare sind Mandatare von Regierungsparteien, deren Parteichefs ja
genau das beschlossen haben, was jetzt zu Fall gebracht werden könnte, wenn
diese Veto-Drohungen wirklich durchgezogen werden. Aber lassen wir uns
überraschen. Das Europaparlament wird, wenn es diesen Kompromiss gibt – er
ist ja noch nicht durch – das studieren und wird das dann im März in
Straßburg diskutieren.
Reiss Christl (ORF)
Lassen wir uns auch überraschen, was Kommissionschef Rompuy sagen wird. Für
zwölf Uhr war eine Erklärung von ihm angekündigt. Noch gibt es keine
Meldungen darüber. Die Frage an Sie, Herr Löw, womit kann Kommissionschef
Rompuy dem Parlament entgegenkommen, dass es doch noch zu einem Ja zu den
Gipfelergebnissen kommt?
Löw Raimund (ORF)
Die Wiederaufnahme der Sitzung, die für zwölf Uhr angekündigt wurde, die ist
jetzt wieder verschoben worden auf 13 Uhr. Also offensichtlich wird noch an
diesem neuen Kompromissvorschlag Rompuys gefeilt. In Zentrum wird das
Angebot der Staats-und Regierungschefs stehen, mehr Flexibilität in dieses
Langzeitbudget zu bringen. Sieben Jahre, das ist eine lange Periode, Hannes
Swoboda zum Beispiel, der Chef der Europäischen Sozialdemokraten, sagt, es
kann doch nicht sein, dass das in der EU so funktioniert wie in der
Sowjetunion, dass ein Fünf-Jahres-Plan, egal was passiert, auch wirklich so
durchgezogen wird. Man muss flexibel sein. Und viele Abgeordnete verlangen
eine review-Klausel, das heißt, dass man nach drei Jahren die ganze Sache
nocheinmal durchdiskutieren kann. Da gibt es auch einen politischen
Hintergrund, denn in drei Jahren könnte es in Großbritannien eine andere
Regierung geben, man weiß nicht, ob Großbritannien dann überhaupt noch in
der EU sein will. Das sind offene Fragen. Und Flexibilität verlangen die
Europaabgeordneten auch zwischen den Töpfen. Bleibt in einem EU-Topf, einem
Fördertopf Geld übrig nach einem Jahr, so soll das nicht mehr automatisch
an die Mitgliedsstaaten zurückfließen können, sondern auch in andere Töpfe
umgeleitet werden können, zum Beispiel in Fonds, die sich mit dem Kampf
gegen Jugendarbeitslosigkeit beschäftigen. In diesem Bereich der
Flexibilität ist ein Entgegenkommen möglich, bei den Zahlen selbst, bei
dieser Obergrenze, 960 Milliarden, wird das viel schwieriger sein.
Reiss Christl (ORF)
Gibt es soweit bisher absehbar Gewinner und Verlierer?
Löw Raimund (ORF)
Es ist, <unverständlich> hat das schon gesagt, das erste Mal, dass ein
Langzeitbudget kleiner wird als das Budget der vergangenen sieben Jahre.
Und das ist auch bemerkenswert, denn Budgets sind ja immer in Zahlen
gegossene Politik. Und wenn das so passiert, werden sich viele fragen, sind
die Zeiten von mehr Europa vorbei? Zumindest im finanziellen Bereich ja,
daher auch die Zustimmung in Großbritannien. David Cameron sagt, er hat
sich durchgesetzt. Das ist ein Wermutstropfen für viele, die erwartet haben
von diesem Budget eine Wendung in Richtung Innovation und auch eine Wendung
in Richtung mehr Konzentration der europäischen Kräfte. Die Wendung in
Richtung Innovation gibt es schon, wenn auch im bescheideneren Ausmaß. Es
gibt etwas mehr Mittel für zukunftsreiche Bildung, Forschung, aber vor
allem haben jene Bereiche, in denen bisher schon viel Geld geflossen ist,
diese Postionen verteidigt. Die Landwirtschaft, die ärmeren Regionen – es
ist ein Budget, das ein bisschen moderner geworden ist, wenn das so
durchgeht, aber nicht wahnsinnig viel moderner.
Reiss Christl (ORF)
Raimund Löw, der EU läuft ein bisschen die Zeit davon, uns leider auch,
deshalb kurz noch zwei Fragen. Als langjähriger und erfahrener
Gipfelbeobachter, diesmal hat man den Eindruck, ist das Prozedere bis zu
einem Zustandekommen des EU-Haushaltes ein besonders schwieriges. Wodurch
unterscheidet sich dieser Gipfel von den vielen Gipfeln, die Sie bis jetzt
mitverfolgt haben?
Löw Raimund (ORF)
Im Ablauf nicht wirklich. Bei Budgetverhandlungen geht es immer wahnsinnig
kompliziert <Tonausfall> es gibt immer <Tonausfall>
Reiss Christl (ORF)
Hallo? Herr Löw? Die Schwierigkeiten…
Löw Raimund (ORF)
Bei großen Budgets dazu, auch in den nationalen <Tonausfall>
Reiss Christl (ORF)
Hallo, Herr Löw? Ja die Schwierigkeiten –
Löw Raimund (ORF)
Hallo?
Reiss Christl (ORF)
Schwierigkeiten gibt es nicht nur innerhalb der EU, sondern offenbar auch
was die Telefonverbindung betrifft, deshalb ganz kurz die Antwort auf die
Frage, was unterscheidet den Gipfel von den bisherigen, die Sie erlebt
haben?
Löw Raimund (ORF)
Die sind immer kompliziert, da gibt es keine entscheidenden anderen
Entwicklungen, da hat es immer Nachtsitzungen gegeben, da hat es immer
Veto-Drohungen gegeben und am Ende hat man sich irgendwie doch wieder
geeinigt. Der Unterschied, der entscheidende Unterschied ist sicher, dass
das Budget, auf das man sich einigen wird, kleiner ist als das
vorangegangene. Das ist die wirkliche Änderung.
Reiss Christl (ORF)
Und welche Szenarien sind beim und nach dem Gipfel möglich, auch ebenfalls
ganz kurz?
Löw Raimund (ORF)
Es muss heute sich entscheiden, ob dieser Kompromiss hält. Das ist aus
jetziger Sicht wahrscheinlich und es müssen dann die Verhandlungen mit dem
Parlament beginnen. Das wird die nächsten Wochen prägen.