Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen markiert den vorläufigen Tiefpunkt in einer schwarzen Serie europäisch-amerikanischer Irritationen. Der amerikanische Präsident gefährdet den Planeten und verstärkt das Chaos in der Welt, urteilt der französische Publizist Bernhard Guetta. Dass Trump sich beim G7-Gipfel geweigert hat, die amerikanische Beistandsgarantie zu bestätigen, verstört Osteuropa. Der Angriff der Administration gegen die Klimapolitik schockiert Westeuropa. Die Entfremdung von der unberechenbaren Führungsmacht USA eint den Kontinent.
Angela Merkel hat bei einer Wahlveranstaltung in Bayern nach dem verheerenden G7-Gipfel in Sizilien eine Schlussfolgerung gezogen, mit der sie ein Ende der transatlantischen Allianz in den Raum stellt. Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen können, sind vorbei, ruft die deutsche Kanzlerin den Wählern zu. Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal, sagt Merkel. Mit einer solchen Ansage ist noch kein deutscher Bundestagswahlkampf begonnen worden. Ausgerechnet der bayrischen CSU, die gerne mit antieuropäischen Reflexen spielt, hält die Kanzlerin vor Augen, dass Deutschland eine stärkere EU braucht, wenn Amerika als Führungsmacht ausfällt.
Deutschland wird französisch, wundert sich der Pariser Publizist Guetta. Die Kanzlerin klingt plötzlich so ähnlich, wie französische Präsidenten in der Tradition Charles De Gaulles, der sich Amerika nie völlig ausliefern wollte.
Distanz zu den USA ist auch in Deutschland populär. Der Streit um den Irakkrieg hat einst Gerd Schröder und Joschka Fischer geholfen Wahlen zu gewinnen. Aber Merkel stellt gleichzeitig einen Schub in der europäischen Integration in Aussicht. Ganz so wie auch Emanuel Macron in Frankreich. Eine reformorientierte französische Führung fällt mit wachsender wirtschaftspolitischer Flexibilität in Berlin zusammen. Dazu kommen die neuen Bedrohungsszenarien in der Weltpolitik. Schon lange nicht war der Druck so groß, die EU zu reformieren.
Angela Merkel hat man nachgesagt, dass sie als ehemalige Ostdeutsche für die Idee des Vereinten Europas emotional nie richtig warm wurde. Diese Zeiten sind vorbei. Die Kanzlerin reagiert auf die Stimmung in der Bevölkerung. Demoskopen melden, dass sich eine Mehrheit der Deutschen eine schnellere europäische Einigung wünscht, erstmals seit dem Mauerfall, wundert sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Merkels zentrale Rolle in der Weltpolitik bringt Martin Schulz in Bedrängnis. Sein Image als ehemaliger Präsident des Europaparlaments kann der SPD-Mann kaum mehr ausspielen. Aber die Bedeutung von Merkels Kurs geht über Wahltaktik weit hinaus. Sowohl CDU als auch SPD versprechen eine stärkere europäische Integration als Antwort auf den Zusammenbruch der alten Weltordnung.
Angela Merkel ist in der Flüchtlingskrise politische Risiken eingegangen, damit Deutschland menschlich reagiert. Sie hat diese Haltung hartnäckig gegen Trommelfeuer von rechts verteidigt. Schon nach dem Unfall von Fukushima hat die Kanzlerin mit der Abkehr von der Atomkraft gezeigt, dass sie konservative Dogmen über Bord werfen kann, wenn es ihr nützt. Als Spitzenkandidatin der CDU hätte Merkel die Macht den engstirnigen Konservativismus der deutschen Haushaltspolitik aufzugeben und die traditionelle deutsche Zurückhaltung in der Sicherheitspolitik zu überwinden. Beides wäre nötig, um den Herausforderungen der neuen multipolaren Welt zu begegnen.
Deutsch-französische Reformpläne hat es immer wieder gegeben. Aber mit Trump wächst der geopolitische Druck für eine stärkere EU. Höhere Rüstungsausgaben der Europäer werden dazu nicht reichen. Unterstützt von Kommissionspräsident Jean Claude-Juncker fordert Frankreich einen gemeinsamen Finanzminister mit einem Budget für den Euroraum, das groß genug ist um Investitionspolitik zu betreiben. Die Europäische Arbeitslosenversicherung und gemeinsame Sozialstandards stehen wieder auf der Tagesordnung. Dass die Euroländer gemeinsame Anleihen aufnehmen, ist in Berlin nicht mehr tabu, solange sie nicht Eurobonds heißen. Greift die Kanzlerin diese Dynamik auf, könnte aus der Weltkrise eine Chance für Europa werden.
Von den Regierungsparteien in Wien war bisher zum möglichen Umbau der EU wenig zu vernehmen. Wie genau stellt sich Österreich europäische Sozialpolitik vor? Was wäre der Beitrag der Alpenrepublik, wenn die Europäer sich in Sicherheitsfragen stärker zusammenschließen? Der heimische Wahlkampf ist eben angelaufen. Anleihen bei den Diskussionen der deutschen Nachbarn sind erlaubt.