Wie weit Frankreich nach rechts rückt

Wird Frankreich unter Emmanuel Macron zu einem Polizeistaat? In der aufgeheizten Stimmung der Nationalversammlung in Paris ist die Beschuldigung vom Führer der Opposition, dem Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon, schon seit langem zu hören. Aber in diesem Herbst warnt auch die ehrwürdige Menschenrechtsliga in Paris vor einem autoritären Kurs. Sogar die Europäische Kommission in Brüssel, die Paris sonst nur mit Glacehandschuhen angreift, kritisiert die neuen Sicherheitsgesetze, die die Regierung in Folge der Terroranschläge von Paris und Nizza vom Oktober durchbringen will. Hunderttausende demonstrierten in ganz Frankreich. Schlägertrupps unter den Demonstranten zündeten Autos und Geschäfte an und attackierten die Polizei.
Im Zentrum der Kontroverse steht ein Gesetz zur globalen Sicherheit, das die Kompetenzen der Polizei massiv ausweitet. Der Hardliner bei der polizeilichen Aufrüstung ist Innenminister Gerard Darmanin. Er will Drohnen anschaffen, die alle Demonstrationen filmen. In Frankreichs Geschäften soll die Videoüberwachung samt Gesichtserkennung nach chinesischem Vorbild ausgebaut werden.
Die heftigsten Proteste gibt es gegen Artikel 24 des neuen Gesetzes, der die Polizei vor der Aufdeckung von Übergriffen schützen würde. Es soll verboten werden Amtshandlungen zu filmen, wenn die Absicht erkennbar ist, den Beamten „physisch oder psychisch zu schaden“. Ein schwammiger Gummiparagraf. Die Strafe kann bis zu einem Jahr Gefängnis und 45 000 Euro reichen. Die meisten französischen Medien sprechen von einem Angriff auf die Pressefreiheit. Trotzdem hat das Gesetzespaket die erste parlamentarische Lesung passiert.
Polizeiübergriffe haben in Frankreich traurige Tradition. In den Vorstädten, in denen die Zuwanderer wohnen, erleben die Jugendlichen die Polizisten als Eindringlinge von außen. Die Situation ist ähnlich wie in den schwarzen Ghettos der USA. Umgekehrt sind gewaltsame Attacken gegen die Exekutive keine Seltenheit. Die Allgegenwart von Handyvideos hat es erstmals möglich gemacht Übergriffe glaubwürdig zu dokumentieren.
Just rund um die Abstimmungen in der Nationalversammlung schockieren Videos extremer Polizeibrutalität die Öffentlichkeit. Beamte hatten den schwarzen Musikproduzenten Michael Zecler unter rassistischen Beschimpfungen in seinem eigenen Studio krankenhausreif geschlagen. Der Mann trug keine Maske getragen. Nur durch die Überwachungskameras wurden die Lügen der Polizei über aggressives Verhalten des Opfers widerlegt. Macron spricht von einer Schande für Frankreich. Ob der Innenminister zurücksteckt und das Filmen von Polizeiaktionen erlaubt bleibst ist unklar.
Die französischen Antiterrorpolitik insgesamt ist heiß umstritten. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der Einsatz der Polizei an den Schulen. Seit der Ermordung des Lehrers Samuel Paty sind die Lehrer angewiesen bei jedem Anzeichen von Sympathien für Terroristen im Unterricht die Behörden zu informieren. Aber wie diskutiert man mit Jugendlichen, wenn bei provokanten Sagern die Polizei gerufen wird?
Die New York Times, die der französischen Regierung eine Stigmatisierung von Muslimen vorwirft, berichtet von einer Schule in der Stadt Albertville, in der zehnjährige Kinder aus Zuwandererfamilien unter dem Verdacht der Verteidigung des Terrorismus zum Verhör geholt wurden. Sie hatten auf die Frage des Lehrer, ob auch er geköpft werden könnte, blöde Antworten gegeben. Es gibt hunderte ähnliche Fälle, schreibt das Blatt. Die verschreckten Eltern bläuen ihren Kindern inzwischen ein, nur ja kein Wort zu sagen, wenn in der Klasse von Mohammed-Karikaturen die Rede ist.
Oliver Roy, ein führender Islamforscher, kritisiert, dass Lehrer angehalten sind Schüler zu denunzieren. Jede Kritik am französischen Laizismus wird als islamistischer Separatismus gewertet, sagt Oliver Roy der New York Times, das sei ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Der Antiterrorunterricht mit Polizeibegleitung an Frankreichs Schulen ist ein widersprüchliches Unterfangen.
Bei vielen Bürgern kommt der harte Kurs an. Umfragen zeigen ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Emmanuel Macron hat seine linksliberalen Schattierungen verloren. Seine wichtigsten Minister kommen aus den traditionellen Rechtsparteien. Durch scharfe Töne gegen den islamistischen Separatismus, so nennt Macron die Tendenz zu migrantischen Parallelwelten, soll der Rechtsextremen Marine Le Pen der Wind aus den Segeln genommen werden. Es ist eine politische Öffnung nach rechts, wie sie in Österreich Sebastian Kurz durch die türkise Übernahme von Slogans der FPÖ praktiziert. Die Einladung des österreichischen Kanzlers ins Elysee nach dem Terror von Wien passt ins Bild. Der Terrorismus hat die französische Gesellschaft verhärtet und er verschiebt die politischen Koordinaten in Europa.

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